Positionspapier: Nationalismus und Fußball

Warum uns euer Fahnengeschwenke ankotzt!

Die Arbeiter haben kein Vaterland.“ – Karl Marx

Zur Fußball-EM wurde das öffentliche Abfeiern der Nation wiedereinmal zur Normalität. Das Verhältnis zur Nation wurde als „unverkrampft“ bezeichnet und erhielt den Begriff „Party-Patriotismus“ zugeschrieben. Für uns als Linksjugend [’solid] Saar ist klar: Wir lehnen jede Form des Nationalismus klar ab! Um unsere Position zu erklären, haben wir dieses Papier verfasst, in dem wir unsere Kritik am Nationalismus im Allgemeinen und an der nun vergangenen EM im Speziellen erläutern möchten.

Niemand sucht sich aus, wo er/sie geboren wird

„Die wohlfeilste Art des Stolzes hingegen ist der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt.“ schrieb Arthur Schopenhauer bereits im vorletzten Jahrhundert.

Sich mit seiner Nation zu identifizieren, scheint schon irgendwie merkwürdig, wenn man sich überlegt, dass kein Mensch sich aussucht, wo er geboren wird. Wenn es reiner Zufall ist, dass ich in Mainz geboren wurde und nicht in Moskau, in Mogadischu oder Montevideo, was ergibt es dann von der Geburt her für einen Sinn, darauf stolz zu sein, wo ich geboren bin? Die Nation selber ist ein Konstrukt. Das heißt, sie existiert nicht direkt real, sondern nur in den Köpfen und dem Papier. Nationale Grenzen sind etwas Willkürliches.

Trotzdem möchten viele Menschen stolz auf ihr Land sein. Aber kann man das und wenn ja, warum sollte man das? „Stolz“ bedeutet zum einen, dass man sich über etwas freut, was man selbst geleistet hat. Durch den genannten Zufall und da man sich selbst immer nur im Rahmen von nicht selbst gewählten Bedingungen entwickeln kann, leistet man a priori beispielsweise nichts zur Nation. Stolz sein kann ich auf etwas, was ich selbst gemacht habe. Die Nation wurde aber bereits geschaffen und ich trage höchstens etwas dazu bei, indem ich mich dem unterordne. Und das ist nicht wirklich eine individuelle Leistung.

Viele sagen dann, sie seien stolz auf irgendwelche Teile dessen, was „Deutschland“ als Topos für sie füllt. So sagen viele, sie wären stolz auf die deutsche Kultur und Geschichte. Aber abgesehen davon, dass man auch damit selbst erst mal nichts zu tun hat, nehmen sich diese Leute dabei immer die guten Seiten heraus: Goethe und Schiller („Wie viele Werke der Beiden hast du denn gelesen?“) oder ein halbwegs existenter Sozialstaat machen da viele stolz. Aber blenden sie nicht gleichzeitig alles Negative aus? Zur deutschen Geschichte und Kultur gehören zwei Weltkriege und der Holocaust in der Vergangenheit genauso dazu wie heute Hartz4 und Brandanschläge auf Flüchtlingsheime. Ich kann also deshalb nicht stolz auf mein Land sein. Ich kann „Die Leiden des jungen Werther“ und BAföG ganz gut finden, aber das ist längst kein Grund, eine Nation abzufeiern!

Die eigenen Geschichte soll durch den Nationalismus viel eher vergessen werden: Die Forderung nach einem „unverkrampften“ Verhältnis zu Nation beinhaltet immer auch eine Ablehnung oder Umdeutung der Verantwortung aus der Vergangenheit. Entweder begründet man genau mit der Vergangenheit zeitgeschichtliches Handeln und macht sich so zum Übermoralischen, und das, obwohl man eine brutale Vergangenheit hat. Oder man will gleich „einen Schlussstrich ziehen“.

Das nationale „Wir“ erzeugt immer „die Anderen“

Die zweite Definition des Stolzes ist „Überheblichkeit“ oder „Hochmut“. Und da kommen wir einer anderen Seite des Nationalismus ganz nahe. Der erzeugt nämlich immer ein Kollektiv, das Nationale. Das wird von den eigenen Mitgliedern (teilweise auch unterschiedlich) definiert. Das kann rechtlich passieren (deutscher Pass) oder völkisch (Abstammung), doch es macht immer ein „Wir“ und ein „die Anderen“ auf.

Wer dieses „Wir“ dann besonders positiv sieht, kann das nur, wenn er etwas hat, was er weniger positiv findet. Und das können eben nur die Anderen sein. Wenn die eigene Nation nicht besser wäre als die anderen, kann ich sie auch nicht hervorheben. Dann habe ich keinen Grund, sie abzufeiern.

Nationalismus ist etwas exklusives: Deutscher bist du eben nur, wenn du dich in das Kollektiv einreihst. Und als Deutscher hast du andere Rechte und wirst ganz anders wahrgenommen. Es wird ein „Wir“ erschaffen, das nur diejenigen beinhaltet, die sich gewissen Eigenschaften (in Deutschland so sympathische Dinge wie Pflichterfüllung, Obrigkeitshörigkeit, Disziplin und Ordnungsliebe zum Beispiel) gleichermaßen unterwerfen. Gegenüber stehen notwendigerweise „die Anderen“, die von dem „Wir“ nicht zu eben dieser Nation gerechnet werden. Das nationale „Wir“ wird aufgewertet, „die Anderen“ werden abgewertet, um die so geschaffene Identität zu stärken.[1]

Einen Teil dieser Gemeinschaft bildet das gemeinschaftliche Praktizieren von Sitten, Gebräuchen und Riten. In Deutschland wird damit oft die sogenannte „Leitkultur“ verknüpft, die alle gefälligst akzeptieren sollen. Tut man dies nicht, folgt die Ausgrenzung: Ohne Trikot oder Deutschlandfahne, ob im Gesicht oder in der Hand, wird man schon mal gefragt, warum man nicht für Deutschland sei oder sogar bedroht, beleidigt und angegriffen. Die öffentliche Zurschaustellung dieser Symbole wird schlechtestensfalls zum persönlichen Zwang.

Arbeiten und Kämpfen für das Vaterland

„Zumindest in den Vereinigten Staaten [Anm.: Und das gilt sicher für alle westlichen Industrienationen] geht die Führung der Arbeiterschaft in ihren Zielen und Mitteln nicht über den üblichen Rahmen des nationalen und Gruppeninteresses hinaus, wobei dieses sich jenem unterwirft oder unterworfen wird.“ – Herbert Marcuse, Der eindimensionale Mensch
Der Nationalismus fordert von dir auch eine doppelte Unterwerfung: In Arbeit und Kampf. Individuelle Wünsche und Bedürfnisse müssen in der arbeits- und militärischen Anpassung an nationale Interessen eingeschränkt werden. Arbeiten gehst du nicht mehr nur, weil du es für dich aus irgendeinem existenziellem Zwang musst, sondern für die Nationalökonomie. Die steht in der Weltmarktkonkurrenz nämlich im ökonomischen Kampf mit ganz vielen anderen Nationalökonomien. Und so sitzen alle „Deutschen“ dann „in einem Boot“ wenn es darum geht, dass Bruttosozialprodukt zu steigern. Gleichzeitig schafft man dadurch ein Verhältnis, wo dieses Wirken wirklich zum existenziellen Zwang wird und der Erhalt der Nationalökonomie wichtig für den Arbeitenden.

Und natürlich werden auch Veränderungen welche die Arbeitenden negativ betreffen, mit dem Nationalismus verschleiert: Du arbeitest für das System deiner Nation. Du nimmst die Kürzungen auch hin, weil der Standort erhalten werden soll. Die Interessen deiner Firma, welche dem Nationalinteresse in zweiter Instanz unterstehen, werden zu deinen Eigenen gemacht.[2] Partikularinteressen erscheinen so für alle vernünftig und objektiv, obwohl sie nur der Unterdrückung und Ausbeutung dienen. Sie sind aber nur die Interessen einer größeren oder kleineren Gruppierung aus politischen und/oder wirtschaftlichen Formationen und müssen überhaupt nichts mit deinen eigenen Bedürfnissen oder Wünschen zu tun haben. Das Problem, dass durch diese Übernahme entsteht ist jedoch dann, dass diese Interessen auch zu den eigenen der Arbeitenden werden: Ich bin abhängig von der Nationalökonomie und muss daher auch objektiv dazu beitragen, dass es dieser gut geht. Durch die Übernahme erzeuge ich meine eigene Unfreiheit und ich vertrete letztlich die gleichen Positionen wie der Ausbeuter. Die Sorge um den Standort ist dann auch eine berechtigte Angst, vor allem wenn das staatliche Sozialsystem einen Verlust des Arbeitsplatzes zu einer großen Einschränkung macht. Es wäre zentral, wenn die Arbeitenden klar unterscheiden würden, zwischen ihren Interessen und denen der Ausbeutenden.
Dies beruht auf dem wechselseitigen Verhältnis von Staat, Nation und Kapital, auf welches wir hier nicht ausführlich eingehen können.[3]

Im kapitalistischen System sind Menschen ständig Widersprüchen ausgesetzt, die oft ihr Leben in einem negativen Sinne betreffen: Die Schere zwischen Arm und Reich ist jedem bewusst, sprich eine absolute Verteilungsungerechtigkeit. Damit diesen unakzeptabel erscheinenden Zustand aufrecht zu erhalten, muss es Argumente für dessen Erhalt geben. Das Konstrukt der Nation bereitet solchen Argumenten den Hof Der Satz „was gut für das Land ist, ist gut für uns alle“ wird genützt, um Politik im Sinne des Sozialabbaus zu forcieren, um die Nationalökonomie wettbewerbsfähig ist. Die Agenda 2010 wurde immer wieder mit dem Satz begründet: „Deutschland verpasst den Anschluss!“. Die Bereitschaft der Menschen steigt, wenn es darum geht, etwas Eigenes für das „große Ganze“ zu opfern, dass wie die Nation auch mit positiven Gefühlen verbunden ist. Wenn man sagt „Lohnkürzungen um den Profit deines Arbeitgebenden zu steigern“, gibt es mit Sicherheit deutlich heftigere Proteste als ein „Wir müssen zum Wohle unserer Nation den Gürtel enger schnallen“.

Und weil dein Land ja so toll sein soll, muss es auch vor inneren und äußeren Feinden geschützt werden. Das funktioniert dann z.B durch das Militär. Dort sollst du dann mit der Waffe dein Leben aufs Spiel setzen und andere Leben beenden, damit die Nationalökonomie unter anderem weiter rund läuft. Die Bundeswehr verteidigt am Hindukusch nicht vornehmlich die Sicherheit des einzelnen Menschen, sondern die Sicherheit der deutschen Machtbestrebungen und deutscher Wirtschaftsinteressen.

Der Nationalismus fordert die Hinnahme und der Unterdrückung durch repressive Institutionen sowie eine Eingliederung plus Teilnahme an diesen und sorgt gestern wie heute mit für unzählige Kriege. Nur als Beispiel sei genannt, dass der deutsche Nationalismus mit ausschlaggebend für zwei unvorstellbar barbarische Weltkriege war.

Nationalismus und Patriotismus? – Erklär mir den Unterschied!

Es ist wissenschaftlich umstritten, ob man diese beiden Begriffe überhaupt klar trennen kann. Mit dem Begriff des Patriotismus werden meistens positive Empfindungen und Begriffe verbunden. Er stellt in der Praxis oft eine vermeintlich positive Identifikation mit der Nation dar, die sich von den negativen Eigenschaften des Nationalismus abhebt. Nationalismus und Patriotismus einigen sich aber in einem Punkt: Die Nation stellt den Mittelpunkt ihres Gedacht-Werdens dar und wird über ihre konstitutiven Elemente zu etwas erhöht. Die Idee der Patriotismustheorien, dass keinerlei Abwertung allein deswegen existiere, weil alle ihre Nation liebten, ist problematisch. Es erscheint schwer vorstellbar, etwas Eigenes gleichzeitig positiv hervorzuheben, ohne Vergleiche anzustellen und auf Basis dieser Vergleiche zu werten. Da man Argumente benötigt, um selbst sein Land zu lieben, soll es nicht völlig irrational bleiben. Der Verfassungspatriotismus, der unter anderem von Jürgen Habermas mitentwickelt wurde, sagt, dass sich diese positiven Bezüge auch nur auf die Verfassung eines Landes, also den Stolz auf erhaltene Grundrechte, die beispielsweise im Grundgesetz verankert sind, beziehen kann.

Eine weitere Gemeinsamkeit von Nationalismus und Patriotismus neben einer potentiellen Überhöhung der Nation, ist, dass die Nation weiterhin konstruiert bleibt. Ihre Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen funktionieren bei beiden Anschauungen strukturell gleich. Ob ich mich im doppelten Sinne für die „beste aller Nationen“ oder „die Nation, die ich sehr gut finde“ zum Militär oder dem Wohlwollen der Nationalökonomie verpflichte, macht eigentlich keinen Unterschied.

Nationalismus verdeckt die Widersprüche der Gesellschaft

Die emotionale und irrationale Identifikation der Menschen mit der ihnen jeweils „eigenen“ Nation soll zudem den Zusammenhalt untereinander stärken. Dies ist besonders bei sportlichen Großereignissen erkennbar. Dieser vermeintliche Zusammenhalt steht aber oft im Gegensatz zu den individuell sehr verschiedenen Eigeninteressen und Bedürfnissen, die letztlich durch das kapitalistische System selbst erzeugt und beeinflusst werden. Vergessen wird hierbei aber eines: In diesem System stehen die Menschen in permanenter und zwanghafter Konkurrenz zueinander, während die Nation in einem übergeordneten Sinn stets eigene Interessen verfolgt.
Es ist daher verständlich, dass alle Menschen auch immer dazu bereit sein sollen, sich gerade entgegen ihrer individuellen Interessen für diese Nation aufzuopfern. Dieses Verhalten ist für das Funktionieren des Systems und den Staat, der es bedient, essentiell, was besonders in Kriegs- und Krisenzeiten erkennbar wird. Gerade dann wird von den Menschen die „nationale Einigkeit“ verlangt und wer seine eigenen Interessen dann nicht zurückschraubt, gilt gar als „Vaterlandsverräter“. Die Widersprüche zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten treten in den Hintergrund.

Was die Menschen oft bei EM oder WM toll finden, ist das Gemeinschaftsgefühl, der Zusammenhalt. Das streben nach gesellschaftlichem Auskommen wird hier aber nicht auf eine Form von sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit bezogen. Gleiche Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung spielen keine Rolle, eben das Gegenteil ist der Fall. Der Wunsch nach Gemeinschaftsgefühl wird zum Selbstbetrug: Mein Boss beutet mich zwar aus und ist ein Arsch, aber wenn wir beide das Deutschlandtrikot tragen und „unserer“ Mannschaft zujubeln, ist das ebenso vergessen, wie das auf dem Platz sicher hunderte Leute stehen die in vielen Bereichen, die dir wichtig sind, vielleicht ganz andere Einstellungen und Meinungen haben als du. Der Nationalismus macht alle irgendwie gleich und harmonisiert das, was nicht harmoniert werden sollte.

Die EM konkret retrospektiv

Durch die Fußball-EM wurde der Nationalismus zur öffentlichen Totalität. Das bedeutet, dass das Ereignis das gesamte öffentliche Leben beherrschte und beeinflusste: In keinem Laden gab es keine Deutschland-Deko, es gab tausende Produkte im Deutschlandstyle zu kaufen, an den Fenstern von Häusern und Autos hingen die Fahnen. Viele davon blieben auch danach hängen.
Mit den großen Sportevents schreitet die Nationalisierung des öffentlichen Raumes voran. Man kommt an Schwarzrotgold nirgends mehr vorbei. Gleichzeitig wird immer behauptet, den Deutschen sei das ja irgendwie verboten. Deutsche, die sich selbst unberechtigter Weise in der Opferrolle sehen sind ein gängiges Motiv in der Selbstdarstellung. Und das obwohl bereits zur WM 1990 alle deutschen Städte voll mit Menschenmassen mit Fahnen waren, die zuerst ihren gesamtdeutsche Titel (ohne einen einzigen Ostdeutschen auf dem Platz im Endspiel) feierten und von denen einige dann wenige Zeit später mit der Fahne in der Hand vor brennenden Asylheimen jubilierten.

Klar ist hier für uns: Nationalismus ist überall scheiße, dennoch hat der deutsche Nationalismus seine eigene Geschichte und seine eigene Ausprägung, die eine spezifische Qualität besitzt.
Die öffentliche Berichterstattung drehte sich auch vor allem um die EM. Asylpaket, Ertrunkene im Mittelmeer, Pegida, Brandanschläge und Massenüberwachung waren von vielen ganz vergessen, nun schwenkte die große Mehrheit die Fahne. Für 90 Minuten hielten alle endlich wieder für wer und davor, währenddessen und danach wurde dann auch mal randaliert.

Nach dem Ausscheiden im Halbfinale wimmelte es in den sozialen Netzwerken vor rassistischen Ausfällen gegenüber französischen Menschen und dem italienischen Schiedsrichter. Gewalt und auch Naziparolen sind bei solchen Events nicht selten zu finden – auch bei dieser EM war das deutlich.[4] Selbst wenn die Mehrheit der Fußball- oder besser Deutschlandfans (denn wegen dem Sport allein gehen ja die wenigstens zum Public Viewing) sich daran nicht selbst beteiligt, so wird dies doch zumindest von vielen toleriert. Diese Tolerierung führt dann dazu, dass leider eine Mehrheit der Fans in solchen Fällen auch nicht einschreitet. Ansonsten könnten diese Personengruppen gar nicht so frei agieren.

Auch Sexismus, Rassismus, Homophobie und Antisemitismus haben ihren festen Platz in oder außerhalb des Stadions und dem gibt dann auch die deutsche Nationalmannschaft, elf überbezahlte junge Männer, die Berufssport betreiben und auch bitte die Hymne mitsingen sollen, noch Futter, wenn sie wie bei der letzten WM davon singt: „So gehen die Deutschen, die Deutschen gehen so! So gehen die Gauchos, die Gauchos gehen so!“ Öffentlich debattiert wird das viel zu wenig. Und wenn, dann von der Mehrheit verteidigt und als „Spaß“ abgetan.
Selbst Kinder werden bereits in diesem Sinne herangezogen: In Deutschlandtrikots wirken sie uniformiert wie zukünftige Soldaten. Sie dürfen nun auf die Torwand ballern und die Fahne schwenken, damit sie auch bereits in einem Alter, wo sie sich mit der Meinungsbildung schwer tun, alles Positive mit Deutschland verbinden. Hier wurde die (oft unbewusste) Ideologisierung deutlich.

Auch auseinandersetzen wollen wir uns mit dem Argument, dass das Fahnenschwenken bei der EM etwas Unpolitisches sei. Hier wird gesagt, die nationale Symbolik sei ausschließlich dazu da, um die Mannschaft anzufeuern und hätte nichts mit einer Verehrung Deutschlands oder mit einer politischen Aussage zu tun. Dies mag subjektiv für die jeweilige Person vielleicht sogar stimmen, aber objektiv hat die nationale Symbolik eben noch viel mehr Gehalt als „Support für die Nationalmannschaft“, sie steht für die ganze Nation und lässt sich nicht je nach Wunsch von dieser Bedeutung entkoppeln. Wer nur die Mannschaft anfeuern will, findet auch Möglichkeiten, dies ohne nationale Symbolik zu tun.

Um zudem die wissenschaftliche Empirie anzuführen: Die Uni Marburg hat jüngst auch wissenschaftlich belegt, dass durch Ereignisse wie die EM der Nationalismus zunimmt, womit einhergehend die Befürwortung von Demokratie abnimmt. Auch der sogenannte „Partypatriotismus“ habe keine „positiven Effekte“ und verringere fremdenfeindliche Einstellungen nicht.[5]

Daher steht für uns fest: Euer Fahnengeschwenke kotzt uns an!

Die Linksjugend [’solid] Saar bekennt sich klar zur Kritik an der Nation im Allgemeinen und an der Deutschen im Speziellen. Linke Politik heißt für uns, antinationalistisch zu denken und zu handeln.
Wir sollten uns ernsthaft fragen, was wir dem nationalen Wahn entgegensetzen zu haben, außer Fantasie und Aktionen, die alles, was den Ursprung dieser als kreativ bezeichnet, Lügen strafen. Aufklärung und Bildungsmaßnahmen sind auf der einen Seite zu nennen, ebenso könnte eine aktive Entnationalisierung des öffentlichen Raumes befürwortet werden.

Für weitere Sportgroßereignisse gilt für uns die Forderung: Fahnen runter![6] Wer ernsthaft die deutsche Nationalmannschaft aufgrund von sportlicher Liebhaberei unterstützen möchte, kann das auch ohne Nationalfahne tun. Der Sport allein ist für uns nichts Ablehnenswertes, im Gegenteil: Unser besonderer und uneingeschränkter Dank gilt denjenigen Vereinen, Verbänden und Vereinigungen, die sich im und um den Fußball und in anderen Sportarten für Integration und ein friedliches Miteinander und gegen Rassismus und Fremdenhass einsetzen. Wir appellieren jedoch auch an die Fans, immer couragiert zu handeln und klar gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus aufzutreten.


Quellen

[1] Vergleiche zur Argumentation auch den Text-Teil des „Comics gegen den Extremismusbegriff“ 5, Antifaschistische Gruppe 5: Mandi, 2010, S. 13, http://mandi.blogsport.de/broschuere/nationalismus/, herausgegeben u.a. von Grüner Jugend und den Linksjugenden Sachsen und Hessen.
[2] In erster Instanz unterliegen die Interessen der Firma den Funktionsmechanismen des kapitalistischen Systems. Beide, kapitalistische und nationalistische Interessen, stehen allerdings zueinander in einer Wechselbeziehung.
[3] Grundsätzliche Überlegungen zu diesem Verhältnis findet ihr hier: http://strassenauszucker.blogsport.de/2009/04/23/eine-absage-an-staat-und-nation/
[4] Ein Beispiel: http://www.bento.de/today/em-2016-faust-des-ostens-mit-reichskriegsflagge-in-lille-629637/
[5] https://www.uni-marburg.de/aktuelles/news/2006/20061213studie/20061213studie
[6] Wir solidarisieren uns mit der Übernahme der Formulierung dieser Forderung mit der Grünen Jugend RLP, die zu Beginn der EM 2016 wegen dieser Forderung unzähligen Anfeindungen ausgesetzt war.

Stand: 2016