Positionspapier: Wider die Extremismustheorie!

Warum die politische Mitte nicht immer demokratisch ist

„Rechtsextremistisches Gedankengut ist weitaus mehr in der Bevölkerung verbreitet als nur der enge Bereich, der unser gesetzlicher Beobachtungsauftrag ist.“ — Helmut Albert, Direktor des Saarländischen Verfassungsschutzes¹

Es ist schon erstaunlich, dass sogar der Direktor des saarländischen Inlandsgeheimdienstes, auch Verfassungsschutz genannt, zugibt, dass rassistische, rechtsradikale und allgemein menschenverachtende Einstellungen auch bis weit in die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ hinein vorzufinden sind. Denn der saarländische Verfassungsschutz arbeitet, ebenso wie alle anderen Verfassungsschutzbehörden, auf Grundlage der sogenannten Extremismustheorie. Warum das problematisch ist, versuchen wir in den folgenden Zeilen kurz darzulegen.

Die Extremismustheorie geht davon aus, dass die Gesellschaft in politischer Hinsicht ähnlich wie ein Hufeisen aufgebaut ist: in der Mitte befindet sich die breite, demokratisch gesinnte Mehrheitsgesellschaft, deren politische Einstellungen als die Norm und „das Gute“ definiert werden, während sich links und rechts davon eine kleine, extremistisch genannte Minderheit befindet, die sich zudem einander in ihren Einstellungen näher seien, als sie es jeweils der Mitte sind. Auf ebendiese „Randbereiche“ der Hufeisen-Gesellschaft beschränkt sich, neben der Beobachtung von bestimmten religiösen Gruppen, der Arbeitsbereich des Verfassungsschutzes.

Also alles gut? Nein, leider nicht. Denn die Extremismustheorie ist in mehrerlei Hinsicht höchst problematisch.

Zum einen ist hier die faktische Gleichsetzung sogenannter „Linksextremer“ mit „Rechtsextremen“ zu nennen: einer politisch „gesunden“ Mitte der Gesellschaft werden die beiden politischen Ränder „links“ und „rechts“ gegenübergestellt und zudem behauptet, „Links-“ und „Rechtsextremisten“ verfolgen strukturell die gleichen Ziele. Nazis, welche Menschen aus der Gesellschaft ausschließen oder gar vernichten wollen, werden also mit Linken gleichgesetzt, die für die Gleichberechtigung aller kämpfen. Essentielle Unterschiede in Theorie und Praxis werden dabei einfach ignoriert.

Zum anderen ist aber neben diesem Problem auf theoretischer Ebene auch ein Problem auf praktischer Ebene festzustellen. Denn die Annahmen der Extremismustheorie erweisen sich in der Realität insbesondere in Bezug auf rechtsradikale Einstellungsmuster als falsch. Darauf weist unter Anderem bereits seit Jahren die regelmäßig erscheinende „Mitte“-Studie der Universität Leipzig hin. Albert hat nun diesen Umstand, wahrscheinlich unbeabsichtigt, mit seinen Aussagen bestätigt. So gibt Albert im Interview mit dem Saarländischen Rundfunk zu Protokoll: „Die Täter waren nie Mitglied einer rechtsextremistischen Partei, einer Neonazi- oder Skinheadgruppe. Die Täter werden uns meistens durch die Gewalttat erstmals bekannt.“² Er bekräftigt dies, indem er im eingangs genannten Zitat bestätigt, dass rassistische und andere menschenverachtende Einstellungen weit über den Bereich des gesetzliches Beobachtungsauftrages, in diesem Falle des sogenannten „rechten Randes“ hinausgehen.

Die Extremismustheorie hat in der Realität versagt. Wir fordern ein Umdenken der Behörden in Bezug auf die Verbreitung menschenverachtender Einstellungsmuster und die Beobachtung und Repression linker Gruppen aufgrund einer Theorie, die sie mit Rechtsradikalen gleichstellt. Und: wir erneuern unsere Forderung nach der Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden, die im Hinblick auf rechtsradikale Strukturen wie den „NSU“ bereits viel zu oft Teil des Problems anstatt Teil der Lösung waren.

Der Landessprecher*innenrat der saarländischen Linksjugend
Dennis Lander, MdL DIE LINKE. im Saarländischen Landtag

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¹ Im Interview mit dem Saarländischen Rundfunk, veröffentlicht am 22.08.2017, abrufbar unter sr.de
² Ebd.