Positionspapier: Mobilitätswende – Freifahrt für freie Bürger*innen

Leben findet nicht nur an einem Ort statt. Wir sind zu Hause. Wir besuchen Schule, Uni, Arbeit oder Arbeitsamt. Wir sind bei Freund*innen, im Kino oder im Schwimmbad, auf Konzerten oder in Klubs und Kneipen. Wir sind bei den beiden Muttis oder den Großeltern – drei- bis viermal jährlich besuchen wir Großtante Klothilde. Wir sind im Urlaub, im Garten, auf Demos, Kundgebungen und Sitzblockaden.

Mobilität ist ein Grundbedürfnis und ein Grundpfeiler der Teilhabe an gesellschaftlichem Leben. Sie geht alle an, prägt unseren Alltag. Leider ist sie auch häufig Anlass zu Frust, Wut und Kontroverse. Dies hat viele Gründe:

Die politischen Entscheidungstragenden haben seit jeher den rechtlichen und infrastrukturellen Rahmen derart nachhaltlos und unsolidarisch gestaltet, dass auf der einen Seite massenhaft ohnehin bereits benachteiligte Menschen (Arme, Blinde, Rollstuhlfahrende, Frauen*, Senior*innen…) ihr Grundbedürfnis nach Mobilität kaum oder nur mangelhaft befriedigen können, während auf der anderen Seite ohnehin bereits Privilegierte unter Inkaufnahme massiver Umweltschäden noch weiter bevorzugt werden.

Menschen, die aus finanziellen, gesundheitlichen oder Gewissensgründen keinen Pkw fahren können, dürfen oder wollen, werden durch einseitig Auto-lastige Verkehrsplanung strukturell diskriminiert und nehmen unter einem erheblich erhöhten Risiko zu Fuß oder mit dem Rad am Straßenverkehr teil, während Reiche im durch Steuergelder finanzierten Firmenwagen auf die Überholspur gebracht werden und dabei en passant unser aller Lebensgrundlage verheizen.

Mobilität wurde zu einer Ware gemacht und der ÖPNV in weiten Teilen privatisiert. Ländliche Gebiete wurden nach und nach fast vollständig vom ÖPNV ab- oder gar nicht erst angekoppelt. Fahrgäste müssen dank de-facto-Monopol schon seit Jahrzehnten Preiserhöhung um Preiserhöhung schlucken, sodass sich bereits heute Viele ein Ticket für die Öffis vom Mund absparen müssen oder es sich gleich gar nicht mehr leisten können, was sie auch vom gesellschaftlichen Leben in weiten Teilen ausschließt.

Weder der Straßenraum noch der ÖPNV sind auch nur ansatzweise barrierefrei gestaltet, sodass bspw. blinde oder mobilitätseingeschränkte Menschen sich faktisch nur äußerst selten unabhängig von der Hilfe Dritter fortbewegen können.

Obwohl dringender Handlungsbedarf objektiv nicht abzustreiten ist, wird seitens der Bundes- und Landesregierungen unter Rücksichtnahme auf die deutsche Autoindustrie und -lobby bei Feinstaub- und Emissionsbelastungen weggesehen und Abgasbetrug toleriert. Als die Öffentlichkeit Diesel endlich satt hat, will die CSU Diesel-Kfz subventionieren, um den Absatz wieder anzukurbeln.[note]http://www.spiegel.de/auto/aktuell/abgasskandal-horst-seehofer-will-mit-steuererleichterungen-diesel-foerdern-a-1159042.html[/note]

Die Linksjugend [’solid] Saar steht ein für einen Bruch mit dieser verantwortungslosen Politik und für eine Wende hin zu einem nachhaltigen und solidarisch organisierten Mobilitätskonzept. In diesem Positionspapier tragen wir unsere Ziele und Forderungen zusammen.

Vernunftgesetz Nachhaltigkeit

Der Mensch ist als biologisches Lebewesen abhängig von seiner natürlichen Lebensgrundlage. Mit unserem Handeln bewirken wir jedoch aktuell deren schrittweise Zerstörung und sägen uns somit den eigenen Ast ab – und den unserer Nachkommen sowie unserer tierischen Mitwesen gleich mit.

Aktuell werden 20% der Treibgasemissionen in Deutschland durch Verkehr verursacht.[note]https://www.vcd.org/strasse-zurueckerobern/[/note] Ziel muss hier wie in allen anderen Bereichen sein, komplett auf erneuerbare Energien umzustellen und den Anteil somit auf (nahezu) 0% zu senken. Auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschengemachte Klimakatastrophe sind Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren jedweder Art perspektivisch nicht haltbar; sie können daher nie Bestandteil seriöser linker Mobilitätsansätze sein und sind folglich prinzipiell nicht förderungswürdig.

Fahrscheinloser ÖPNV – Tragende Säule unseres Mobilitätskonzepts

Ein zentraler Ansatz solcher zukunftstauglicher Mobilität ist das Konzept des fahrscheinlosen ÖPNVs. Dieser sieht folgenden Ansatz vor: Bus und Bahn können von allen jederzeit ohne Entgelt genutzt werden – einfach einsteigen und abfahren. Die wegfallenden Fahrscheineinnahmen werden durch ein Solidarmodell finanziert. Damit wollen wir eine ganze Reihe von Zielen verwirklichen.

Durch die solidarische Finanzierung wird ein dickes Plus an sozialer Gerechtigkeit erreicht – ÖPNV wird Teil der öffentlichen Daseinsfürsorge; das Grundbedürfnis nach wird endlich durch ein Grundrecht auf Mobilität gedeckt. Jede*r kann in gleichem Umfang zu gesellschaftlichen Anlässen an- und abreisen und ist somit nicht von vornherein von diesen ausgeschlossen. Tourist*innen haben einen zusätzlichen Anreiz, das Saarland zu besuchen. Auch innersaarländische Ausflüge, beispielsweise zur Saarschleife, zum Bostalsee oder zur Völklinger Hütte scheitern nicht bereits am Geldbeutel.

Der Wegfall des Ticketerwerbs motiviert Viele, das Auto stehen zu lassen, und hält sie damit davon ab, massenweise Verkehrsunfälle zu verursachen und ihre Mitbürger*innen in Feinstaub ersticken zu lassen. Die zu erwartende Steigerung der Nachfrage ermöglicht ohne Staatsbankrot eine drastische Verbesserung des Angebots, von der auch diejenigen profitieren, die bisher Leidtragende mangelhafter Erschließungen sind, da sie mangels Alternativen auf den ÖPNV angewiesen sind. Durch eine Abnahme des Individualverkehrs können Straßenräume verkehrsberuhigend umgestaltet werden, Zufußgehende und Radfahrende sich endlich sicher fortbewegen, Kinder wieder auf der – nun begrünten – Straße spielen und Tiere diese überqueren ohne platt gefahren zu werden.

„Aber, aber, wie soll man denn das finanzieren? Dann reicht das Geld ja nicht mehr, um Dieselskandale zu vertuschen, das 2%-Prozent-Ziel für Rüstungsausgaben zu erreichen und Firmenwägen oder Massentierhaltung zu subventionieren!“, hören wir der Klientel von Schäuble, Kretschmann und Lindner das Herz in die Hose rutschen. Doch die Finanzierung entpuppt sich als ein Leichtes.

Die Piratenpartei des Saarlandes, die in diesem Bereich hervorragende Vorarbeit geleistet hat und im Übrigen auch der LINKEN meilenweit voraus ist, berechnete im Januar letzten Jahres die Finanzierung über das Abgabenmodell, das inzwischen auch von den Landräten der Kreise Saarlouis, Patrick Lauer (SPD), und Sankt Wendel, Udo Recktenwald (CDU), verfochten wird.[note]https://www.saarbruecker-zeitung.de/wirtschaft/sz-wirtschaft/wenn-saarlaender-ohne-ticket-busfahren-duerfen_aid-80009[/note] Dieses sieht vor, jede*n volljährige*n Saarländer*in zur Zahlung einer Abgabe ähnlich des Rundfunkbeitrages zu verpflichten. Wendet man die aktuellen Ticketeinnahmen abzüglich der dann wegfallenden Unkosten für Fahrscheinautomaten und -papier, Kontrollpersonal und Abonnementverwaltung[note]Die Piratenpartei gibt hierfür ihrer Berechnung 35 Mio. Euro jährlich, das sind 2,916 Mio. Euro monatlich, an. D.h. ca. 20% der jährlich insgesamt 43 Mio. Euro Ticketeinnahmen werden für vermeidbare Ausgaben verschleudert. Es wird weiter von 850 000 volljährigen Saarländer*innen ausgegangen. (Daten von 2013)[/note] auf diese Gruppe an, so entrichtet Jede*r monatlich einen Betrag von 3,43€. Eine Einzelfahrkarte vom Kleinen Markt in Saarlouis zum 1,6km entfernten Saarlouiser Hauptbahnhof kostet aktuell 3,10€.

Weiter errechnet die Piratenpartei, dass, wenn jede*r volljährige Saarländer*in 19,64€ entrichtet, bei gleich hoch bleibender Bezuschussung des ÖPNVs durch öffentliche Gelder 206% des aktuellen Budgets erzielt werden.[note]https://www.piratenfraktion-saarland.de/2016/01/gutes-bus-bahn-angebot-im-saarland-waere-moeglich/[/note] Sprich: für knapp unter nem Zwanni im Monat fahren alle Busse und Bahnen doppelt so oft wie bisher. Zum Vergleich: eine Monatskarte für Saarbrücken kostet 62,10€. So werden die zusätzlich nötigen Kapazitäten geschaffen, um die zu erwartende höhere Nutzendenzahl zu fassen.

Obgleich bereits dieses Modell einen enormen Zugewinn an sozialer Gerechtigkeit darstellt, ist es aus linker Sicht dennoch zu kritisieren, da Armen genauso tief in die Tasche gelangt wird wie Reichen. Wir können uns auch ein steuerfinanziertes Modell vorstellen, das etwa auf einer eigenen ÖPNV-Steuer beruht, die dann keinen pauschalen Betrag, sondern einen prozentualen Anteil des Einkommens belastet, sodass Arme geschont werden, oder noch besser auf einer Erhöhung der Kraftstoffsteuer.

Auf den ersten Blick wirkt es zwar unfair, ausgerechnet diejenigen den ÖPNV bezahlen zu lassen, die diesen gerade nicht nutzen. In Anbetracht der Tatsache jedoch, dass jeder mit dem Auto zurückgelegte Kilometer einen volkswirtschaftlichen Schaden verursacht, während ein zu Fuß gegangener oder mit dem Rad gefahrener Kilometer einen Gewinn darstellt[note]Vgl. https://www.urbanist-magazin.de/2014/09/ihr-radfahrer-zahlt-keine-steuern-also-runter-von-der-strasse/[/note], erscheint es durchaus vertretbar die Autofahrenden die Zufußgehenden und Radfahrenden ein wenig entschädigen zu lassen.

So klappt’s: Landesweite Planungsbehörde, Verkehrsverlagerung und Straßenumgestaltung

Natürlich würde der ÖPNV allein damit nicht über Nacht das Allheilmittel der Mobilitätspolitik.

Zu geringe Taktfolgen, teilweise nicht aufeinander abgestimmte Fahrpläne und mancherorts völlig fehlende Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, Gondelfahrten, die sich ziehen und ziehen, wenn sie eine Ortschaft nach der anderen abklappern, Haltestellen, die nicht barrierefrei ausgestattet sind etc. – momentan müssen Fahrgäste sich allerhand gefallen lassen.

Der Bahnhof in Luisenthal: keine Fahrstühle, keine taktilen Leitstreifen, keine abgesenkten Bahnsteige – Barrierefreiheit ist anders.
Quelle: Lantus, Wikimedia Commons

Letzteres zuerst: Blinde, Rollstuhl fahrende oder gebrechliche Menschen sind eigentlich besonders auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Gerade diesen Menschen werden aber durch mangelhafte Infrastruktur zusätzliche Steine in den Weg gelegt. Jeder vierte Bahnsteig im Saarland ist nicht stufenfrei erreichbar, 35% verfügen nicht über taktile Leitstreifen.[note]https://www.vep.saarland/fileadmin/dateien/Downloads/Stationserfassung_Abschlussbericht.pdf, Seite 7[/note] Über Bushaltestellen liegen uns keine Daten vor, die Situation dürfte hier aber noch schlimmer sein. Zudem ist an vielen Bahnsteigen und an fast allen Bushaltestellen im Saarland kein niveaugleicher Einstieg möglich. Wir fordern den sofortigen Umbau aller Bus- und Bahnhaltestellen im Saarland in einen barrierefreien Zustand.

Weiter müssen alle saarländischen Ortschaften in einer angemessenen Fahrzeit angemessen oft miteinander verbunden werden. Um diesen Zustand herzustellen wollen wir den Landesbetrieb für Straßenbau in eine landesweit einheitliche Verkehrsplanungs- und -baubehörde umwandeln, deren Aufgabenbereich primär die Konzeption und Einrichtung eines landesweiten tragfähigen ÖPNV sowie die Themenfelder Verkehrsberuhigung und Verkehrsverlagerung umfasst.

Im Bereich ÖPNV muss dabei dem schienengebundenen Verkehr besonderes Augenmerk gewidmet werden, da dieser stets das Grundgerüst des ÖPNV darstellt. Die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken sowie ein weiterer Saarbahnausbau können hier sinnvolle Schlüsselprojekte sein. An bestehenden Bahnstrecken sollten bei Bedarf weitere Haltepunkte eingerichtet werden, wobei gerne auf die seit Jahren von Landesregierung und DB ignorierten Vorschläge des VCD zurückgegriffen werden darf.[note]https://www.vcd.org/vorort/fileadmin/user_upload/saarland/redaktion/saarlandbahn.pdf[/note] Zwischen Völklingen und Sankt Ingbert sowie zwischen Forbach und Sankt Wendel müssen die Züge im Viertelstundentakt fahren. Der Linienbusverkehr muss vollständig rekommunalisiert und die durch die Ausschreibungspraxis erzeugte Lohndrückerei ggü. Busfahrenden beendet werden. Die neue Planungsbehörde erarbeitet dann ein Konzept, das alle saarländischen Ortschaften rund um die Uhr erschließt. Nachts und zu Schwachlastzeiten ist die Bedienung mit Anrufsammeltaxen möglich – wenn diese nicht gerufen werden, entstehen dem Busunternehmen, sprich der*dem Abgabe- resp. Steuerzahlenden, keine unnötigen Kosten.

Auch abseits des ÖPNV muss unsere Mobilität umgestaltet werden. Hier muss primär die Suppe ausgelöffelt werden, die uns Union, SPD, Grüne und FDP seit Bestehen der Bundesrepublik am einbrocken sind. Jahrzehntelang galt das Auto als Maß aller Dinge. Das Konzept der „autogerechten Stadt“ wurde zum Non-Plus-Ultra der Stadtplanung verabsolutiert. Es galt „freie Fahrt für freie Bürger“ und alles, was sonst noch so auf Straßen unterwegs war, galt als zu beseitigendes Hindernis. Straßenbahnen wurden abgebaut, Zufußgehende und Radfahrende in den Seitenraum verdrängt. Es wurden zwei-, drei- und vierspurige Schnell- und Hauptstraßen gebaut und dafür ganze Siedlungen durchschnitten, aber egal – Hauptsache man kam gut durch. Und die Umwelt? Das wächst nach.

Nach Ewigkeiten an Protesten, wissenschaftlichen Studien und der Gründung der Grünen, wurde dann von einigen Beteiligten ein bisschen zurückgerudert und die ersten Tempo-30-Zonen und Fußgängerzonen wurden gebaut. In diesem Zusammenhang ist auch der Genosse Lafontaine löblich zu erwähnen, der in seiner damaligen Funktion als SPD-Oberbürgermeister von Saarbrücken sowohl den öffentlichen Nahverkehr zulasten des Individualverkehrs förderte, als auch den Sankt Johanner Markt zur Fußgängerzone umgestaltete.[note]https://de.wikipedia.org/wiki/Oskar_Lafontaine[/note] Die Konsequenzen der damaligen, bis heute von einigen Politiker*innen wie bspw. Bundesverkehrsminister Dobrindt (CSU) weitergeführten, falschen Ansätze sind aber, insbesondere in einer Zeit, in der wieder mehr Menschen beginnen Rad zu fahren oder den ÖPNV zu nutzen, nach wie vor unverkennbar:

Die Kaiserstraße in Schafbrücke: Vier Spuren für PKW, den Gehweg teilen sich Fußgänger*innen und Radfahrer*innen.
Quelle: atreyu, Wikimedia Commons

Pkws wird ein unverhältnismäßig hoher Anteil am Verkehrsraum zugeteilt, während Radfahrenden und Zufußgehenden unverhältnismäßig wenig Fläche zugestanden wird. Beispiel Berlin: 60% des Verkehrsraums sind für Pkw reserviert, obwohl diese nur ein Drittel der Wege zurücklegen. Radfahrende erhalten dagegen nur 3% der Fläche, obwohl 15% der Wege mit dem Rad zurückgelegt werden.[note]https://www.vcd.org/strasse-zurueckerobern/subpages/wir-brauchen-eine-diskussion-ueber-flaechengerechtigkeit/[/note] Hinzu kommt, dass selbst diese 3% in der Regel zugeparkt, nicht geräumt oder sonstwie blockiert werden. In der Stadt Saarbrücken ist es ein besonders häufiges Phänomen, dass Radspuren und -wege nicht einmal die gesetzliche Mindestbreite erfüllen. In einer von der Stadt in Auftrag gegebenen Analyse der Verkehrssituation heißt es dazu unter anderem: „An anderen Stellen entsprechen die Radverkehrsanlagen nicht mehr den aktuellen Breitenstandards. Beispiele hierfür sind die Schutzstreifen in der Deutschherrenstraße, in der Gersweiler Straße, sowie in der Vorstadtstraße. Durch Oberflächenmängel (bspw. unebene Regenrinnen) ist die Fahrqualität teilweise weiter eingeschränkt. […] Die untersuchten Radfahrstreifen orientieren sich in Saarbrücken entweder an den empfohlenen Minimalbreiten oder sind zu gering bemessen. Ein Beispiel hierfür ist die Hubert-Müller-Straße. Neben der zu schmalen Bemessung wurde dort der Sicherheitsabstand zu längsparkenden Kfz nicht berücksichtigt.“ Einige Saarbrücker Radspuren sind gar so schlecht gemacht, dass sie ernsthaft für Parkstreifen gehalten werden: „Neben dem bewussten Parken auf den Radverkehrsanlagen – bspw. aufgrund mangelnder Rücksicht oder fehlender Kontrollen – ist auch ein „Bewusstseinsdefizit“ für die Radverkehrsanlagen wahrscheinlich: Ohne Fahrradpiktogramm werden Radfahrstreifen in einigen Fällen von Autofahre[nden] für Parkstreifen gehalten“.[note]http://www.vep.saarbruecken.de/media/download-5566e5bd5cab1[/note]

In aller Regel sind die Radspuren und -wege dann auch noch benutzungspflichtig. Die Benutzungspflicht wird in der Regel willkürlich und auch häufig illegal verhängt. Illegalerweise benutzungspflichtige Radwege dürfen von Radfahrenden jedoch nicht ignoriert werden, sondern müssen befahren werden bis die zuständige Behörde die Benutzungspflicht wieder aufhebt. Aufgrund offensichtlicher Mängel fordern wir dem Beispiel der Städte Köln[note]https://hamburg.adfc.de/verkehr/themen-a-z/radwegebenutzungspflicht/benutzungspflicht-aufgehoben-koeln-informiert-verkehrsteilnehmer/[/note] und Hamburg[note]https://hamburg.adfc.de/verkehr/themen-a-z/radwegebenutzungspflicht/adfc-erfolgreich-hamburg-stellt-schilder-fahrraeder-auf-der-fahrbahn-erlaubt-auf/[/note] zu folgen und die Benutzungspflicht aufzuheben.

Auch gesonderte Busspuren existieren in vielen Städten, so auch Saarbrücken, nur sehr selten in hinreichendem Umfang – den Platz hat man ja für die Autos gebraucht. Wir fordern ein alltagstaugliches Netz an hinreichend breiten Bus- und Radspuren. Dieses ist gegebenenfalls auf Kosten bestehender Pkw-Spuren anzulegen.

Eine weitere, wohl die fatalste, Folge der autolastigen Straßenraumgestaltung ist der Mangel an Verkehrssicherheit. Um den Autos nicht die freie Fahrt zu nehmen und um Geld zu sparen (schon der Bau eines Zebrastreifens kostet bis zu 80 000€[note]http://www.tagesspiegel.de/berlin/79-000-euro-kostet-ein-zebrastreifen/7592040.html[/note]), sind Straßenübergänge nicht oft genug vorhanden und nur äußerst selten wirklich sicher oder gar barrierefrei gestaltet. Jeden Tag verunglücken drei Menschen in Deutschland tödlich in Folge von Verkehrsunfällen.[note]https://de.statista.com/statistik/daten/studie/161724/umfrage/verkehrstote-in-deutschland-monatszahlen/[/note] Viele mehr verletzen sich. Auch indirekte Gesundheitsschäden durch Verkehrslärm und Abgase belasten die Menschen.

Wir bekennen uns klar zur vision zero, also dem Ziel von null Verkehrstoten. Im Sinne der Verkehrssicherheit fordern wir ein generelles Tempolimit von 120km/h auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen, sowie eine Herabsetzung der Innerorts-Geschwindigkeit auf 30km/h. Alle Konzepte der Verkehrsberuhigung (bspw. Einbahnstraßen, verkehrsberuhigte Bereiche, Fußgängerzonen, Shared Space, Fahrradstraßen, …) müssen ausgeweitet werden. Diese bieten außerdem die Gelegenheit, dem Straßenraum umzugestalten und zu begrünen, sodass die Straße wieder Raum des öffentlichen Lebens wird und die durch Kraftfahrzeuge erzeugten Klimaschäden zumindest partiell kompensiert werden können.

Aber können nicht einfach alle mit Elektroautos fahren?

Diese Umstellung ist alles andere als einfach. Zunächst ist festzuhalten dass Elektroautos beim Betrieb mit Kohlestrom nur marginal weniger umweltschädlich sind als Benziner.[note]http://eckldorna.com/2010/09/elektroautos-sind-sogar-mit-kohlestrom-gruner-als-benziner/[/note] Daher müsste man vorher gewährleisten, dass Elektroautos ihren Strom aus erneuerbaren Energien beziehen. Die Umstellung auf Elektroautos birgt weiter Probleme die vorher gelöst werden müssen. Flächendeckende Auflade-Stationen müssen vom Staat gestellt werden, Staat und Unternehmen müssen zusammen arbeiten um die Investitionskosten zu senken und die Forschung muss mehr gefördert werden, damit Elektroautos langfristig als Massenfortbewegungsmittel realisierbar sind. Gerade für den Lieferverkehr und/oder für Einsatzfahrzeuge der Polizei und Feuerwehr ist die Umstellung auf Elektroautos eine sinnvolle Alternative. Auch im Bereich des ÖPNV ist eine zeitnahe Umstellung auf Elektromobilität schnellstmöglich umzusetzen, um somit auch eine Reduzierung des Nahverkehrs umweltfreundlich zu verstärken.[note]Neben den bekannten Oberleitungsbussen gibt es Busse mit Akku, z.B. die Berliner Linie 204 (vgl. http://www.taz.de/!5340705/) und das komplette Busnetz von Zermatt (vgl. https://www.zermatt.ch/anreise/Fortbewegung-im-Dorf) fahren bereits heute rein elektrisch mit Akkubussen. Die Verkehrsbetriebb Hamburg-Holstein (HVV) wollen bis 2020 umstellen (vgl. https://vhhbus.de/e-bus/elektromobilitaet/).[/note] Zudem muss auch der Umfang des (elektrisch oder nicht elektrisch betriebenen) MIV[note]Motorisierter Individualverkehr, das Gegenstück zum ÖPNV[/note] allgemein reduziert werden, um Flächenverbrauch und Landschaftszerschneidung zu unterbinden.

Wandel beginnt im Kopf

Immer wieder – zuletzt im Rahmen des aktuellen Diesel-Gates – müssen wir bitterlich feststellen, wie weit wir auch in diesem Bereich von unseren Zielen entfernt sind.

Viel zu Viele weigern sich nach wie vor, die Wissenschaft anzuerkennen und ignorieren die Klimakatastrophe. Viel zu sehr würde sie das aus ihrer Wohlfühlzone holen. Zuletzt konnte die die Klimakatastrophe leugnende selbsternannte Alternative, in mehreren Bundesländern zweistellige Ergebnisse holen.

In weiten Teilen der Gesellschaft gilt immer noch der Führerscheinerwerb als selbstverständlicher Teil des Erwachsenwerdens und „ein geiles Auto“ als unverzichtbares Ausdrucksmittel von Status und Männlichkeit.

Die Bundesregierung lässt sich zum Sprachrohr der Autoindustrie instrumentalisieren und der Bundesverkehrsminister hat nichts zeitgemäßeres im Sinn, als einen Bundesverkehrswegeplan auszutüfteln, der faktisch bloß eine Auflistung von Straßenneubauprojekten ist, während Bundesumweltministerin Hendricks (SPD), nach jedem sinnvollen Vorschlag von Siggi und Wolfgang zurückgepfiffen wird.

Trotzdem und gerade deshalb ist es wichtig, nicht zu resignieren und Überzeugungsarbeit zu leisten. Wir wollen uns konsequent innerhalb und außerhalb der Linksjugend [’solid] und der Partei DIE LINKE. für erhöhte Sensibilität bei Verkehrs- und Umweltthemen einsetzen.

Holen wir uns die Zukunft zurück!

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