Positionspapier: Asylrecht 2016

Wider der Begrenzung von Menschenrechten – für eine humanistische Flüchtlingspolitik!

„Die achtköpfige Fraktion beschloss nach eigenen Angaben einstimmig, ‚für eine Steuerung der Zuwanderung und europäische Kontingente‘ einzutreten“, schreibt die Saarbrücker Zeitung über einen Beschluss der Landtagsfraktion der Partei DIE LINKE. im saarländischen Landtag.[1] Nach unserer Kritik an den Vorstößen von Oskar Lafontaine hat sich nun auch die Landtagsfraktion der Partei DIE LINKE. im Saarland positioniert.[2] Wir sehen uns daher in der Pflicht, Stellung sowohl zu den verabschiedeten Positionen zu beziehen, als auch unsere Sicht auf die Details des Beschlusses darzulegen.

Kontingente? Obergrenzen? Ohne uns!

Das für uns mit Abstand absurdeste Detail an besagtem Beschluss ist die Forderung nach „europäischen Kontingenten“ bei gleichzeitiger Ablehnung von Obergrenzen, von denen, in den Worten der Landtagsfraktion, die CSU jede Woche auf’s Neue schwafele. Völlig unklar bleibt dabei für uns, worin genau die Landtagsfraktion den Unterschied zwischen einer Kontingentlösung und einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen sieht. Ist hier die Rede von einer bestimmten Anzahl an Menschen, die jährlich europaweit aufgenommen werden sollen? Oder redet die Landtagsfraktion von Geflüchteten, die sich zur Zeit in Deutschland aufhalten, und fordert deren Umverteilung auf andere europäische Länder? Wir gehen, mit Blick auf die bisherigen Äußerungen Oskar Lafontaines, eher von Ersterem aus. Und wir müssen daher annehmen, dass es sich um nichts anderes als eine Obergrenze für die Aufnahme von Geflüchteten handelt. Damit stellte sich die saarländische Landtagsfraktion der Linkspartei mit ihrem Beschluss dann gegen geltende Beschlüsse der Bundestagsfraktion [3], des Bundesvorstandes der Partei [4] sowie des Bundesverbandes der Linksjugend [’solid].[5]

Zudem stellen sich auch hier die gleichen Fragen, die sich üblicherweise bei der Forderung nach Obergrenzen stellen: Wo liegt diese Grenze? Wer legt diese Grenze fest und nach welchen Kriterien? Wie soll eine europäische Kontingentierung sowohl theoretisch als auch praktisch umzusetzen sein? Was passiert mit dem ersten Geflüchteten, nachdem diese Grenze erreicht ist? Insbesondere der letzte Punkt verdeutlicht, dass es sowohl bei Obergrenzen als auch bei Kontingenten um nichts weiteres als populistische Augenwischerei handelt. Obergrenzen und Kontingente sind schlicht nicht umsetzbar – und stehen im Gegensatz zu den bestehenden Bestimmungen.

Denn Tatsache ist, dass der Umgang mit Geflüchteten in der Genfer Flüchtlingskonvention [6] und der Asylschutz im Grundgesetz [7], Artikel 16a, festgeschrieben sind: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Eine Diskriminierung von Flüchtlingen nach Herkunft oder Religion ist dabei ebenfalls ausgeschlossen (Konvention, Artikel 3), gleichsam eine Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt (Konvention, Artikel 17, 18 und 19), wie auch die in Deutschland z.T. noch immer geltende Residenzpflicht nach der Konvention unzulässig ist (Konvention, Artikel 26). Auch Forderungen nach einer „Bewegungsbegrenzung“ sind damit hinfällig.

Tatsache ist zudem, dass das im Grundgesetz verankerte Asylrecht keine Obergrenzen oder Kontingente kennt. Zu diesem Schluss kommt nicht zuletzt auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle.[9] Das Asylrecht ist ein unveräußerliches Menschenrecht. Und, in den Worten unserer Genoss*innen aus Sachsen-Anhalt: „Wer das Asylrecht zum Gastrecht degradiert, verkennt dessen Wesen“.[8] Wir sind der tiefen Überzeugung, dass Deutschland seine Humanität nicht ablegen darf und dass gerade hier für viele Menschen ein Leben ohne Lebensgefahr und Verfolgung sowie einer Sicherung der Existenzgrundlagen zusicherbar sein muss. Dass dies personelle, wirtschaftliche und integrative Anstrengungen nach sich zieht, ist uns bewusst. Wir, die Linksjugend [’solid] Saar, stellen uns gerade deshalb auch weiterhin an die Seite der Geflüchteten, ohne Kontingente und Obergrenzen, ohne Wenn und Aber.
Wir lehnen zudem jede weitere Verschärfung des Asylrechtes in Deutschland generell ab. Das relativ menschenfreundliche Asylrecht in der Nachkriegs-BRD, das bereits 1993 durch den „Asylkompromiss“ deutlich eingeschränkt wurde, wurde seitdem immer weiter verschärft. Gerade jetzt, wo rechte Hetze wieder die Straßen einnimmt und es mehr Attentate auf Flüchtlingsunterkünfte den je gibt, darf man den Forderungen menschenverachtender Gruppierungen weder nachgeben noch hinterherlaufen, sondern muss umso mehr eine Gegenposition beziehen und deren Perspektive aufweisen. Abschiebungen als Mittel der Repression lehnen wir konsequent ab.

Vorgehen und Finanzierung

Der Beschluss der Landtagsfraktion ist allerdings weitreichender. Viele der in dem Beschluss dargelegten Positionen sind für uns durchaus vertretbar oder werden bereits von uns vertreten.

Wir schließen uns so dem Ruf nach einer angemessenen Finanzierung von Flüchtlingslagern der UN, beispielsweise in Staaten wie Jordanien und dem Libanon, an. Damit verbunden ist eine Erhöhung der Leistungen in der Entwicklungshilfe auch in anderen Staaten, auch, um den Menschen vor Ort langfristig Perspektiven bieten zu können. Wir sind der Ansicht, dass nur eine Bekämpfung der vielfältigen Fluchtursachen die Migrationsbewegungen zu vermindern vermag. Es liegt schließlich in der Regel auch im Interesse der Flüchtenden, gar nicht erst flüchten zu müssen, sei es aufgrund familiärer und freundschaftlicher Beziehungen. aus finanziellen oder sonstigen Beweggründen. Dies bedeutet ausdrücklich nicht, dass nicht jeder Mensch die Möglichkeit haben sollte, sich an jedem Ort aufzuhalten, wo er oder sie möchte, im Gegenteil: Dafür setzen wir uns ein.

Die saarländische Linksjugend vertritt zudem ebenfalls die Ansicht, dass die aktuelle Lage einer europäischen Lösung bedarf. Das Gerede über Obergrenzen, Kontingente und Grenzkontrollen wäre längst hinfällig, gäbe es auf EU-Ebene ein schlüssiges Konzept. Die EU mit ihren 28 Mitgliedsstaaten und rund 500 Millionen Einwohner*innen kann unserer Ansicht nach jeder Zahl von Flüchtlingen Schutz bieten. Für Flüchtende müssen ferner sichere Fluchtrouten geschaffen werden. Das Sterben an den Außengrenzen der EU ist unser aller Schande.

Dass die aktuelle Flüchtlingssituation weiterhin nicht „zum Abbau von Sozialleistungen missbraucht werden“ darf, steht für uns außer Frage. Jede weitere Einschränkung ginge ohnehin nur auf Kosten der Benachteiligten in dieser Gesellschaft und ist daher grundsätzlich, unabhängig von Ausgangslage, abzulehnen. Die Linksjugend [’solid] Saar stellt sich daher auch hinter die Forderungen der Landtagsfraktion nach einer „Erhöhung des Mindeslohns, des Hartz-IV-Regelsatzes sowie einer stärkeren Förderung des sozialen Wohnungsbaus“. Gleiches gilt für den Ausbau des öffentlichen Dienstes in allen Bereichen, in denen schon seit vielen Jahren gespart wurde und noch immer gespart wird. Wir distanzieren uns ferner ausdrücklich davon, Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Dass es gerade aufgrund von Flüchtlingen zum Abbau von Sozialleistungen kommt, ist schlicht irreführend und schürt nur falsche Ängste und rassistische Ressentiments.

Menschlichkeit ist für uns keine Frage des Haushalts. Dennoch mussen die finanzielle Basis für die Sicherung der Lebensgrundlagen von Flüchtlingen weiter sichergestellt werden. Auch hierzu hat die Linkspartei schon seit vielen Jahren ein schlüssiges Konzept, dass sich auch im Beschluss widerspiegelt: Eine umfassende Besteuerung von den bisher steuerlich bevorzugten Bereichen, darunter auch explizit Erbschaften, Kapitalerträge und die Besteuerung von besonders wohlhabenden Bürger*innen, ist weiterhin notwendig. Auch spielt es dabei keine Rolle, ob man von einer einmaligen Zahlung oder jährlichen Steuerabgaben ausgeht – in beiden Fällen entsteht allein in Deutschland ein Milliardenüberschuss, mit dem sich viele der zur Zeit drängenden Probleme angehen ließen.

Auch bei der Verfolgung von Steuerhinterziehung ist mit Milliardeneinnahmen zu rechnen. Hiervon ist nicht nur Deutschland betroffen, auch andere Staaten innerhalb und außerhalb der EU sind mit Blick auf Steuergerechtigkeit endlich in die Pflicht zu nehmen. Und dann ist da noch die Schuldenbremse, deren Aussetzung die Landtagsfraktion sinnvollerweise fordert. Solche und andere Investitionen sind selbstverständlich nicht auf die aktuelle Thematik eingeschränkt: Die Menschen in diesem Land profitieren auch langfristig von einem Ausbau der Infrastruktur und des öffentlichen Sektors. Diese Vorschläge ersetzen jedoch perspektivisch nicht eine grundsätzliche Umstrukturierung der Eigentumsverhältnisse.

Zum Schluss

Während die saarländische Linksjugend viele der vorgestellten Konzepte und Ideen der Landtagsfraktion befürwortet, spricht sie sich in aller Deutlichkeit auch weiterhin gegen Obergrenzen und Kontingente aus. Solchen und anderen rechtspopulistischen Forderungen ist viel mehr durch Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu begegnen. Dass Deutschland und Europa die bestehenden und zukünftigen Probleme ohne nationalistische Ideen (wie jüngst in Österreich) lösen kann, steht für uns außer Frage. Eine Rückkehr zu Grenzkontrollen und Grenzschließungen mit oder ohne Waffengewalt ist und bleibt abzulehnen.[10] Unsere Solidarität gilt gerade jetzt den flüchtenden und geflüchteten Menschen, die hier und in Europa auf eine bessere und friedliche Zukunft hoffen: Kein Mensch ist illegal. Dies ist und bleibt eine unverhandelbare Position auch für die saarländische Linksjugend.[11]


Quellen

[1] Saarbrücker Zeitung, „Deutschland kann nicht jedes Jahr…“, http://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/Saarbruecken;art446398,6033646, 13. Januar 2016.
[2] linksfraktion-saarland.de, „Linksfraktion für Steuerung der Zuwanderung – Schuldenbremse auf Eis legen“, http://www.linksfraktion-saarland.de/nc/presse/pressemitteilungen/detail/browse/1/zurueck/presse-4/artikel/linksfraktion-fuer-steuerung-der-zuwanderung-schuldenbremse-auf-eis-legen/, 11. Januar 2016
[3] Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, Beschluss der Fraktion DIE LINKE vom 12. Januar 2016, http://www.linksfraktion.de/positionspapiere/beschluss-fraktion-linke-12-januar-2016/
[4] Parteivorstand der Partei DIE LINKE., „Kein Gast- oder Gnadenrecht: Asylrecht ist Menschenrecht“, http://www.die-linke.de/partei/organe/parteivorstand/parteivorstand-2014-2016/beschluesse/kein-gast-oder-gnadenrecht-asylrecht-ist-menschenrecht/, 12. Januar 2016
[5] Linksjugend [’solid], „Aufruf zu unumwundener Solidarität mit Geflüchteten“, https://www.linksjugend-solid.de/2015/12/11/aufruf-zu-unumwundener-solidaritaet-mit-gefluechteten/, 11. Dezember 2015
[6] UNHCR, Genfer Flüchtlingskonvention, http://www.unhcr.de/fileadmin/user_upload/dokumente/03_profil_begriffe/genfer_fluechtlingskonvention/Genfer_Fluechtlingskonvention_und_New_Yorker_Protokoll.pdf
[7] dejure.org, Grundgesetz Art. 16a, http://dejure.org/gesetze/GG/16a.html“
[8] Linksjugend [’solid] Sachsen-Anhalt, „Wagenknecht und Bartsch sprechen nicht unserem Namen. Asyl ist und bleibt ein Grundrecht!“, http://www.linksjugend-lsa.de/themen/antifaantira/#c69710, 12. Januar 2016
[9] Frankfurter Rundschau, „Voßkuhle: Obergrenze unzulässig“, http://www.fr-online.de/flucht-und-zuwanderung/fluechtlingsdebatte-vosskuhle–obergrenze-unzulaessig,24931854,33567424.html, 20. Januar 2016
[10] Zeit Online, „Österreich: Wer Obergrenze sagt, der muss auch Tränengas sagen“, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-01/asyl-obergrenze-oesterreich, 20. Januar 2016
[11] u.a. Linksjugend [’solid] München, „Solidarität kennt keine Obergrenzen!“, https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=1102731786434220&id=213686995338708&substory_index=0, 19. Januar 2016

Stand: 2016