Diskussionspapier: Sinn und Unsinn des Regierens

Im Jahr 2017 stehen zwei für uns wichtige Wahlen an. Zum Einen wird im Saarland ein neuer Landtag gewählt, im September schließt sich dann auch die Bundestagswahl an. Eine zentrale Frage für Linke in diesem Bezug war immer: Wie hältst du es mit dem Regieren? Die Linksjugend [`solid] Saar hat sich Gedanken gemacht und einen Diskurs geführt, ob Regierungsbeteiligungen ein erstrebenswertes Ziel für die Linke darstellen sollte oder nicht. Die Hauptargumente des Für und Wider wollen wir euch hier präsentieren.

Generell kann festgehalten werden, dass es deutliche Kritik am Prinzip des Regierens gibt, aber das auch Argumente dafür festgehalten werden müssen. Oft stellt man sich im Bezug auf das Regieren, wie man den selbst handeln würde, wäre man selbst in einer Regierungsposition. Dieses Denken hat auch Einfluss auf das politische Handeln. Zum einen ermöglicht es zwar eine gute Möglichkeit, im Rahmen des Bestehenden die Möglichkeiten auszuloten, wie man politisch etwas anders machen kann und welche Reformen man tätigen möchte. Dagegen steht aber die Tendenz, das man damit auch das denken einschränkt. Gerade linke Gruppierungen wie die Linksjugend [`solid] Saar wünschen sich eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Wenn man aber immer vom Bestehenden in seinem Denken ausgeht, wie soll man dann noch das Nicht-Bestehende, also die andere Gesellschaftsordnung denken oder umsetzen können?

Wenn man regieren will, versucht man, gesellschaftliche Mehrheiten für sich zu gewinnen. Die Maximierung der Stimmenzahl ist wichtig, um die eigenen Projekte im Abgleich mit den Wähler*Innen auch in den Bereich der Umsetzbarkeit zu führen. Man hält also sozusagen auch den Draht zu dem, was den Menschen auf den Nägeln brennt. Aber macht man sich dadurch nicht auch abhängig von Stimmungen? Und wie weit gibt man diesen nach, wenn sie sich ändern? Sollte man nicht wahrhaftig die eigenen Programmatik vertreten und versuchen, dass Bewusstsein der Menschen zu ändern, in dem man ihnen die Notwendigkeit einer anderen Gesellschaft vermittelt? Das Schielen auf den Wahlerfolg ist beim Regieren-Wollen eindeutig größer – womit dann auch die Beliebigkeit wachsen und das Verkürzen von politischen Inhalten zu populistischen Parolen stattfindet.

Falls man dann regiert, muss man sich fragen, ob es überhaupt geht, wie man es sich vorstellt. Deutschland ist die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Gemessen wird Regierungserfolg vor allem daran, wie sich die Arbeitslosigkeit entwickelt und wie das Wirtschaftswachstum ausfällt. Wenn man regiert, dann tut man das Seit an Seit mit dem expansiven Kapital, wenn man nicht abgewählt werden möchte. Aber gerade das möchte man eigentlich nicht, die Möglichkeiten es bei den vorliegenden Rahmenbedingungen zu ändern sind aber massiv begrenzt.

Wenn ich aber regiere, kann ich als linke Kraft auch doch Manches zum Guten verändern. Ich kann Projekte gegen Rechtsradikalismus und menschenverachtende Meinungen mehr fördern, regenerative Energien ausbauen, die Diskriminierung von Minderheiten vermeiden, die Unterbringungsbedingungen und rechtlichen Bestimmungen für Flüchtlingen verbessern und eine bessere Bildungspolitik umsetzen. Man könnte Reichensteuern einführen und Spekulationsvermögen besteuern.

Aber gerade bei den letzten wird deutlich, dass es fragwürdig ist, was diese Reformen bringen. Wenn ich dem Besitzer einer Fabrik nur etwas mehr wegnehme, dann heißt das eben nicht, das Ausbeutung beendet wird und das die Arbeitnehmer*Innen endlich ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen können. Viel eher wird sich der Mächtige doch das, was ihm weg genommen wird, wieder woanders holen.

Die Linke hat schon des Öfteren in den Bundesländern mitregiert und dort sehen die Bilanzen durchwachsen aus. In Berlin hat die Linke z.B den öffentlichen Wohnungsbau massiv privatisiert und viele Menschen aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Die Sachzwänge und murrende Koalitionspartner machen es prinzipiell schwer, wirklich eine andere Politik zu machen, doch finden sich aber auch aus den Regierungsbeteiligungen der Linkspartei in den Ländern positive Beispiele, was man als regierender Part erreichen kann. Und sei es nur, um Druck zu machen im Bundesrat für eine andere Politik, was nur möglich ist, wenn man mitregiert.

Da es für die Linkspartei wohl vorerst ein Traum bleiben wird, absolute oder gar verfassungsändernde Mehrheiten zu erlangen, muss sie mit Koalitionspartnern umgehen können. Diese vertreten oft Anliegen, die man selbst ganz anders betrachtet. Startpunkt einer Regierungskoalition sind Koalitionsverhandlungen. Die Linksjugend [`solid] Saar ist sich einig, dass es dafür klare rote Linien benötigt. So wurde von den Diskusssionsteilnehmenden auch eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene und Länderebene unterschiedlich bewertet. Auf Bundesebene wären rote Linien beispielsweise der Natoaustritt, eine Ende der Waffenexporte und die Einführung einer sanktionslosen Mindestsicherung für Arbeistlose. Alles Vorhaben, die zumindest aktuell mit keiner anderen Partei auf Bundesebene umsetzbar wären.

So wurde eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene für 2017 auch von den Anwesenden klar abgelehnt. Eine Möglichkeit für beide Ebenen ist vielleicht in der Form durch Unterstützung von Minderheitsregierungen zu beachten. So kann man die Politik deutlich mitbestimmen, ohne selbst in der Regierung zu sitzen. Allerdings kann dies nicht die bevorzugte Variante sein, da eine Minderheitsregierung auch von anderen Parteien unterstützt werden kann und man dann keinen Einfluss mehr auf die Regierungstätigkeit hat.

Auf Landesebene gestaltete sich die Positionierung anders, aber auch hier müsse man rote Linien markieren. Als Beispiele wurden hier beispielsweise die Aussetzung der Schuldenbremse und ein umfassenden Programm für bezahlbares Wohnen sowie eine Wende in der Bildungspolitik genannt. Grundsätzlich gab es aber hier eine Mehrheit, die ein Mitregieren auf Landesebene eher als positiv anerkennen würde, wenn die Voraussetzungen stimmen, ohne das man sich aber einstimmig dafür aussprach, das auch in Anspruch zu nehmen.

Wenn man nun Regierungsbeteiligungen auf allen Ebenen ablehnt, muss man die Frage stellen, was den dann die Aufgabe einer linken Partei in einem Parlament sein würde. Hier wurde angeregt sich zum Einen als verlängerter Arm der gesellschaftlichen Gruppierungen, welche einen linken und emanzipatorischen Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse leisten, zu begreifen und diese Ideen und Kritik in den demokratischen Prozess zu tragen. So könnte man dazu beitragen, dass gesellschaftliche Bewusstsein in eine linke Richtung zu bewegen. Zudem kann man als Fundamentalopposition viel schärfere Kritik leisten, da man auf weniger Faktoren, die die eigene Machtbasis betreffen, achten muss.

Zum Zweiten besteht die Möglichkeit, mit seinen Anliegen die Regierenden vor sich her zu treiben. Der Mindestlohn (wenn auch natürlich eingeschränkt) wurde in Deutschland auch ganz ohne eine Regierungsbeteiligung eingeführt, aber sicher dadurch, dass die Linke jahrelang Druck bei diesem Thema machte. Das wurde so angetragen, dass man sozusagen das Vermeiden des noch Schlimmeren den Regierenden überlassen kann, während man selbst weiter klar und ehrlich für seine Ideale und eben ums Ganze kompromisslos kämpft.

Stand: 2016