Heute hat die Bundesregierung dem Ersuchen von Erdoğan, dem Präsidenten der Türkei, zur Strafverfolgung Jan Böhmermanns auf Grundlage des §103 StGB stattgegeben. Da es sich hierbei um einen juristisch etwas komplizierteren Fall handelt, der über die Frage „Ist das jetzt Satire?“ hinausgeht, versucht eure Linksjugend [’solid] Saar einmal, Licht ins Dunkel zu bringen.
Zuvor sei gesagt, dass Erdoğan auch einen normalen Strafantrag wegen Beleidigung gestellt hat. Die Angelegenheit wäre also so oder so juristisch geklärt worden. Nur eben nicht unter der „Majestätsbeleidigung“ des §103, welcher für die gleiche Tat eine viel höhere Strafe vorsieht, wenn sie nur einen Regierungschef trifft. Praktisch wie in einem Feudalstaat.
Doch von Anfang an. Ein Strafverlangen eines ausländischen Regierungschefs gemäß §104a StGB kann von der Regierung abgelehnt werden. Das alleine erscheint Angesichts des Gleichheitsgrundsatzes des Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“) schon fragwürdig. Die Regelung hat aber durchaus ihren Grund. Der Rechtsstaat sieht und verhindert damit nämlich die Gefahr, dass Autokraten und Diktatoren anderer Staaten das deutsche Recht zu ihrem despotischen Tun missbrauchen. Die Einschränkung des Gleichheitsprinzips gegen ausländische Staatschefs erfolgt also zum Schutz der Demokratie vor der Einflussnahme undemokratischer, ausländischer Kräfte.
Gründe, ein solches Strafverlangen abzulehnen, können sein: (1) Die Unmöglichkeit einer Strafverfolgung nach deutschem Recht oder (2) die Befürchtung, dass die Strafverfolgung deshalb beantragt ist, weil ein Despot Einfluss auf die deutschen Medien erlangen will, nicht weil ein demokratisches Staatsoberhaupt berechtigte Gründe hat, gegen die Verletzung eines Rechtsgutes in Deutschland vorzugehen.
Die Frage, was denn nun Satire sei, spielt daher so gut wie keine Rolle, denn diese Beurteilung obliegt der Rechtsprechung, nicht der Bundesregierung. Nur wenn absolut klar ist, dass keinerlei rechtliche Grundlage besteht, das Strafverfahren zu Gunsten des Klägers zu entscheiden (Fall 1), kann das als Ablehnungsgrund herangezogen werden. Diese Klarheit ist im Fall Böhmermann im Zweifel allerdings nicht ersichtlich, da die Abwägung von Persönlichkeitsrechten zu Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit generell ziemlich schwierig ist. Gehen wir also mal davon aus, dass die bloße Möglichkeit einer Strafverfolgung gegeben ist. In diesem Fall muss die Regierung aber erst recht die zweite Frage klären. Nämlich ob der Antragsteller demokratisch glaubwürdig ist oder nicht. Das ist aber keine juristische Abwägung, sondern eine politische. Und genau darum geht es.
Umso heuchlerischer und opportunistischer ist nämlich die Entscheidung, dem Strafverlangen stattzugeben. Angesichts der Prozesse gegen türkische Journalist*innen, die zu Dutzenden wegen Beleidigung, Spionage oder Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen verurteilt werden. Laut der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ liegt die Türkei auf Platz 149 von 180, wenn es um die Pressefreiheit geht (1). Merkel gebietet einem Despoten juristischen Einfluss auf die deutschen Medien. Sie gebietet einem Antidemokraten Zugriff auf die deutsche Justiz, damit dieser ihm ungeliebte Satire juristisch bedrohen kann. Herzlichen Glückwunsch, es lebe die Demokratie!
Letztendlich ist die Verantwortungslosigkeit aber kalkuliert. Die Regierung benötigt Erdoğan um den Türkei-Deal umzusetzen, der nebenbei die Abschaffung letzter humanistischer Prinzipien in der Flüchtlingskrise manifestiert. Merkel macht also genau das, was man von ihr erwartet. Sie gibt jegliche Verantwortung ab. Sie macht ihr Problem zu einem der Justiz und verweist auf die unabhängigen Gerichte, während sie sich dem Antidemokraten beugt („Türkei ist der Freund“). Sie schmeichelt den neu gewonnenen Neuwähler*innen in Gestalt von Erdoğan-nahen Deutschtürk*innen und den Erzürnten bietet sie einen Kompromiss an, die Abschaffung des §103 StGB („Majestätsbeleidigung“). Die Freude, dass dessen letztes Stündlein geschlagen scheint, hinterlässt angesichts der unfassbaren Verantwortungslosigkeit der deutschen Regierung ein eher gezwungenes Lächeln.