Am Samstag haben wir den Abtreibungsgegnern nicht die Saarbrücker Straßen überlassen!

Gemeinsam mit rund 250 Freund:innen und Genoss:innen haben wir am Samstag den Piusbrüdern und ihrem faschistischen Anhang ein bisschen die Hölle auf Erden bereitet und bunt und lautstark für den Feminismus und das konsequente Selbstbestimmungrecht von Frauen und schwangeren Personen über ihre Körper demonstriert. Dabei konnten die Piusbrüder auf ihrer Route von engagierten Antifaschist:innen nicht nur eine ganze Weile blockiert werden, auch haben wir deren Gebete und Reden so lautstark begleitet, dass sich die Bürger:innen Saarbrückens in diesem jahr wieder nicht deren Lügen über Schwangerschaftsabbrüche anhören mussten.
Im folgenden unser Redebeitrag auf der Kundgebung, die Pressemitteilung unseres Bündnisses „my Body My Choice“, Bilder (Quelle: Privat) sowie Presseberichterstattung von unseren Protesten.


Redebeitrag der Linksjugend [’solid] Saarland:


Liebe Freundinnen und Freunde,
alle Jahre wieder versammeln sich heute die reaktionären Anhänger:innen der Piusbruderschaft in Saarbrücken, um ihre Feindschaft gegenüber dem freien Leben und ihre Obsession mit embryonalen Zellhaufen zu zelebrieren. Dabei wähnen sich die Piusbrüder auf der moralisch richtigen, weil den Willen Gottes vertretenden Seite der Geschichte, denen mit uns nach ihren Worten “die Handlanger des Fürsten der Finsternis” mit “satanistischen Einschüchterungsversuchen” entgegenstehen. So zumindest formulierten sie auf der Seite Gloria.TV ihre Analyse des antifaschistischen Protestes im Jahr 2019. Nun könnte man diese Gruppierung als kleines anachronistisches Überbleibsel des Mittelalters abtun und sich darüber lustig machen. Damit verkennt man allerdings, wie das Weltbild der Piusbrüder in gewissen Punkten durchaus anschluss- und salonfähig in heutigen reaktionären und rechten Kreisen ist. Ein Punkt, der neben dem Antifeminismus der Piusbrüder besonders ins Auge fällt, ist ihr teilweise offen zur Schau gestellter Antisemitismus. Marcel Lefebvre, der Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X, schrieb 1985 in einem Brief an den Papst zum Beispiel: “Alle diese Reformen wurden über 20 Jahre innerhalb der Kirche durchgeführt, um falschen Religionen und erklärten Feinden der Kirche wie Juden, Kommunisten und Freimaurern zu gefallen”. Man erkennt hier, wie das klassische Narrativ der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung bemüht wird, welche von innen heraus das christliche Kollektiv zersetzt und die Gemeinschaft der Gläubigen zerstört.
Auch wenn man den Blick auf die US-amerikanische Piusbruderschaft richtet, lassen sich dort Zitate wie folgendes finden: “Die Kirche darf die Realitäten der Vergangenheit und die klaren Bestätigungen eines internationalen Judentums nicht ignorieren. Die führenden Köpfe dieses Judentums haben sich über Jahrhunderte systematisch und aus unsterblichem Hass gegen den Katholizismus zur Errichtung eines jüdischen Weltreiches verschworen.”
Die Entwicklungen der Moderne und all ihre Begleiterscheinung wie Aufklärung, Säkularisierung und die Liberalisierung von Lebensentwürfen werden von den christlichen Fundamentalist:innen gedeutet als ein jahrhundertelanger Kampf von Jüdinnen und Juden, die gegen das Christentum und ihre Heilslehre kämpfen, um dieses auszulöschen und ein “Weltjudentum” zu installieren. Man erkennt bei den Piusbrüdern, wie sich der klassische Antijudaismus, der Jüdinnen und Juden als verräterische und hinterlistige Jesusmörder darstellt, mit der verschwörungsideologischen Form des modernen Antisemitismus verbindet, der mit den Protokollen der Weisen von Zion um 1900 herum immer größere Verbreitung fand.
Im Gut-Böse-Weltbild der Piusbrüder werden Jüdinnen und Juden als Zersetzer von christlicher Moral und Gemeinschaft imaginiert, die die Religion bedrohten und dieser feindlich gesinnt seien. Ähnliche Erzählungen lassen sich heute auch beispielsweise bei der Neuen Rechten beobachten, die dunkle Mächte und Eliten hinter dem sogenannten “Großen Austausch” und der Auflösung von Traditionen, Tugenden und Wertvorstellungen vermutet, und den zerstörerischen kosmopolitischen “Globalisten” die ehrliche Volksgemeinschaft gegenüberstellt. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Piusbruderschaft beste Kontakte zur extremen Rechten aufweist. Bei vergangenen Aufmärschen in Saarbrücken nahmen unter anderem Akteure von NPD und Identitärer Bewegung teil. Heute wird mit Nicole Höchst außerdem eine AfD-Bundestagsabgeordnete bei den Piusbrüdern zu Gast sein, die in der Vergangenheit unter anderen Angela Merkel mit Adolf Hitler verglichen, Sexualaufklärung als “Angriff auf Kinderseelen” bezeichnet und verkündet hat, dass es aufgrund von Verwandtenehen in migrantischen Familien vermehrt Kinder mit Behinderungen geben würde.
Ideologisch erkennt man nicht nur massive Parallelen der Piusbruderschaft zum Rechtsradikalismus, sondern auch zum politischen Islam, der genau wie die Piusbrüder die eigene Religion als Leitlinie und Rechtsentwurf des gesellschaftlichen Lebens festlegen will und Sälularisierung oder Rechte für Frauen und LGBTQ-Personen so weit wie möglich einschränken möchte. Der frühere iranische Führer Ruholla Khomeini proklamierte beispielsweise, dass die Juden es seien, “die als erste mit der anti-islamischen Propaganda und mit geistigen Verschwörungen begannen”, was ihm zufolge auch bis heute andauere. Dabei richtet sich das iranische Regime nicht nur gegen den Staat Israel und das von ihm vermutete jüdische Prinzip, sondern auch gegen den Feminismus und die Befreiung der Frau, um die Herrschaft des Patriarchats zu sichern. Aktuell gehen die iranischen Sicherheitskräfte mit äußerster Gewalt gegen die Protestierenden auf den Straßen vor, die nach der Ermordung von Mahsa Amini ihrem Wunsch nach Freiheit und einem Ende der Unterdrückung Ausdruck verleihen.
Ob christliche oder islamische Fundamentalist:innen, sie alle vereint der Hass auf das freie Leben und die freie Entfaltung des Individuums, sie alle sehen in Jüdinnen und Juden oder im jüdischen Staat das ultimativ Böse, das Traditionen, Werte und Gemeinschaften zersetzt. Diesen Kräften müssen wir heute und jederzeit unseren Entwurf der Gesellschaft entgegensetzen – eine von der Religion emanzipierte Welt, in der jeder und jede frei ohne Einschränkungen und Begrenzungen den eigenen Lebensentwurf ausleben kann, in der Frauen die alleinige Verfügungsgewalt über ihre Körper haben und in der Jüdinnen und Juden keine Angst haben müssen, wegen ihren Symbolen angegriffen zu werden. Lasst uns gemeinsam für diese Welt kämpfen und denen, die daran glauben, heute die Hölle heiß machen!
Vielen Dank


Pressemitteilung:


Feministisches Bündnis fordert nach Protesten gegen Piusbrüder politische Konsequenzen.
Mit einem bunten, lauten und kraftvollen Protest hat gestern das feministische Bündnis My Body My Choice vor der Europagalerie in Saarbrücken dem sogenannten „Marsch für das Leben“ die Stirn geboten. Dabei haben rund 250 Menschen ihren Protest lautstark zum Ausdruck gebracht. Sprecherin Nora Becker zeigt sich mit dem Ablauf zufrieden: „Die Piusbrüder und ihr faschistischer Anhang haben sich offenbar gestört gefühlt bei ihren Aktivitäten. Wir haben gestern der reaktionären Rechten in Saarbrücken nicht die Straße überlassen. Wir haben gezeigt, dass es viele Menschen gibt, die es nicht akzeptieren, wenn hier gegen Gleichberechtigung und gegen die Selbstbestimmtheit von Frauen sowie Trans- und Interpersonen über ihre Körper auf die Straßen gegangen wird. Wir wollen es auch nicht zulassen, dass einfach öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche Lügen verbreitet werden. Einer der Tiefpunkte in diesem jahr war, als ein Redner der Piusbruderschaft die Opfer des Holocausts mit abgetriebenen Embryonen gleichsetzte. Das zeigt wie Antisemitismus und Antifeminismus bei dieser Bewegung Hand in Hand gehen.“ Dennoch sieht das Bündnis zum einen die saarländische Zivilgesellschaft in der Verantwortung zukünftig derartige Aufmärsche nicht mehr zuzulassen und kritisiert Politik und Kirche, die solche Märsche nicht nur zulassen, sondern zumindest indirekt auch fördern. Auch die Rolle der Polizei kritisiert das Bündnis: „Wir fragen uns warum die Polizei mit Gewalt den Piusbrüdern die Hauptstraßen frei räumt, während der Gegenprotest gleich mit einer Anzeige bedroht wird, sobald die Musik als zu laut empfunden wird“, kritisiert Becker.
Das Bündnis fordert hierbei wie auch bei der Kundgebung vor Ort die saarländischen Institutionen und deren Politik vor allem im Bezug auf die Finanzierung der Piusbruderschaft: „Im Prinzip erleben wir hier jedes Jahr einen rechten, antifeministischen Aufmarsch der direkt vom Staat alimentiert wird. Von Steuergeldern, die letztlich auch den Piusbrüdern zugute kommen angefangen bis zur direkten Finanzierung der Schuleinrichtungen der Piusbrüder, an denen in Vergangenheit nachweislich Kinder misshandelt wurden, vom saarländischen Kultusministerium. Die Stadt Saarbrücken und die Landesregierung sind aufgefordert diesen Reaktionären den Geldhahn endlich zuzudrehen“, fordert Nora Becker, Sprecherin des Protestbündnisses.
Auch kritisiert das Bündnis das Schweigen von kirchlicher Seite. „Wo sind denn die kritischen Stimmen der sogenannten gemäßigten Teile der Katholischen Kirche im Saarland? Wieso gibt es vom Bistum Trier keinerlei Konsequenzen für die Piusbrüder, die als fester Teil der Katholischen Kirche ganz offen mit der extremen Rechten paktieren? Die Kirchenoberen sollen endlich Farbe bekennen und den Rauswurf der Piusbruderschaft forcieren, ansonsten muss man den Antifaschismus der Kirche hier schlichtweg als hohles Bekenntnis bezeichnen“, stellt Nora Becker fest.
Die Forderungen werden gemeinsam gestützt von den Bündnispartnern von der Linksjugend [’solid] Saar, ConnAct Saar, dem Antifaschistischen Schüler:innenkollektiv und den Medical Students for choice Saar.
Presselinks:
Saarländischer Rundfunk: https://www.sr.de/sr/mediathek/video/FS_AK21_5180.html
Saarbrücker Zeitung: https://www.saarbruecker-zeitung.de/app/consent/?ref=https://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/marsch-fuer-das-leben-in-saarbruecken-blockiert_aid-78287863
Sol.de: https://www.sol.de/…/marsch-von-abtreibungsgegnern-in…