Überwachungsstaat verhindern!

Die Aufrüstung von Polizeieinheiten, die stetige Zunahme von Überwachungs- und Datenspeicherungskompetenzen für Polizei und Geheimdienste, die Fülle an Verschärfungen im Streik-, Demonstrations- und Asylrecht… Der deutsche Staat arbeitet seit Jahren bundesweit mit fadenscheinigen Argumenten an einer gigantischen Überwachungs-, Sicherheits- und Repressionsstruktur. Erhöhte Polizeipräsenz wird damit begründet, dass die Menschen sich wieder sicher fühlen sollen und dieses Bedürfnis herbeigeredet. Dass Kriminalität sich aber nicht durch Staatsgewalt, sondern besser durch Prävention und soziale Sicherheit bekämpfen lässt, wird ausgespart. Entwicklungen des letzten Jahres sind beispielsweise der vollautomatische Zugriff aller Geheimdienste auf biometrische Passbilder oder die Verschärfung der §§ 113, 114 StGB. Besonders letztere Gesetzesänderung wird schwerwiegenden Einfluss auf die Art und Weise haben, wie Polizei und Staatsanwaltschaft in Zukunft Demonstrierende verfolgen und in den Knast bringen werden.

Aber auch im Saarland geben sich CDU und SPD alle Mühe, einen harten, unerbittlichen Staat zu schaffen. Kramp – Karrenbauer und ihr Innenminister Boullion fordern bekanntermaßen regelmäßig eine noch härtere Abschiebepraxis.

Härtefallkommission

Praktisch äußerst sich das im Umgang mit der Härtefallkommission. Diese hat im Saarland einen schweren Stand. Zuletzt war sie über 1 ½ Jahre ohne Vorsitzenden. Und das auch nicht ohne Grund. Immerhin stellt die Härtefallkommission das Handeln der Regierung in Frage und kommt in Einzelfällen zu anderen Ergebnissen als das Innenministerium. Bei Saartoto beispielsweise wäre ein so langes Zögern bis zur Neubesetzung der Spitze seitens der Landesregierung undenkbar gewesen.

Allgemein ist die Härtefallkommission damit beauftragt Menschen im Einzelfall aus humanitären Gründen vor einer eigentlich rechtskräftigen Abschiebung zu bewahren. Deshalb ist es umso unerträglicher, mit welch einer Arroganz und Abschätzigkeit die Landesregierung den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern der Härtefallkommission begegnet. So wurde in der Presse von 13 Fällen (insgesamt 40 Menschen) berichtet, die trotz eines positiven Urteils der Härtefallkommission abgeschoben wurden. Meist wurde die Härtefallkommission über die Entscheidungen des Innenministeriums nicht einmal informiert. Das liegt daran, dass die Entscheidungshoheit „Abschieben oder nicht“ allein dem Innenminister obliegt. Die Härtefallkommission ist nur beratend, nicht rechtlich bindend, tätig.

Beispielhaft dafür ist der Fall der Familie Celik, welche eigentlich abgeschoben werden sollte. Dies konnte jedoch durch den Einsatz der Härtefallkommission verhindert werden, da man ein Gespräch mit dem Minister organisierte. Dieser bekam beim Anblick der Kinder Mitleid und sagte die Abschiebung ab. Was ist jedoch mit den Menschen, die es nicht zu einer Audienz mit dem Minister geschafft haben? An anderer Stelle nannte der Innenminister Bouillon seine Entscheidungen zur Abschiebung „ein Bauchgefühl“. Wir nennen das Willkür.

Amnesty International kritisierte bereits 2009 die besonders verschärften Regelungen zur Härtefallkommission im Saarland. So ist die Befassung von Anträgen ausgeschlossen, wenn die vorgetragene Gründe der Betroffenen im Asylverfahren gewürdigt werden müssen. Es können jedoch Anträge im Asylverfahren abgelehnt werden, obwohl massive Menschenrechtsverletzungen vorliegen, beispielsweise wenn keine individuelle Verfolgung vorliegt. Weiterhin kann eine Befassung der Härtefallkommission ausgeschlossen sein, wenn die Mitwirkungspflicht durch die Betroffenen verletzt wurde. Dies ist jedoch problematisch, da viele sich beispielsweise nicht in die Botschaften ihrer Herkunftsländer trauen, um dort die nötigen Papiere zu beantragen, da ihnen bei Ablehnung in Deutschland zu Hause Repressionen drohen können (Iran, Türkei, etc.).

Weiterhin manifestiert sich der autoritäre Zeitgeist im Schaffen von Feindbildern und dem Schüren von „Ängsten“. Die Regierung redet von Gefährdern und Gefahren aber vor allem davon, wie man sie am besten bekämpfen kann. Nämlich mit Gewalt und Überwachung.

Kameraüberwachung

So haben die Städte Neunkirchen und Saarbrücken mit dem Land eine sog. „Sicherheitspartnerschaft“ unterzeichnet, deren Ziel es ist, Maßnahmen zu entwickeln um die Sicherheit zu erhöhen. Oder das Sicherheitsgefühl zu stärken, so genau wissen das Innenminister Klaus Boullion und seine Partner selbst nicht. Die Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz ist zumindest eine erhöhte Polizeipräsenz wichtig, da sie das Sicherheitsgefühl der Menschen nachweisbar erhöhe. Das sei ein wesentlicher Beitrag für mehr Lebensqualität. Ein Gefühl also, subjektiv, manipulierbar, beliebig. Auf dieser Grundlage soll Videoüberwachung an „Kriminalitätsschwerpunkten“ installiert werden. Ca. 30 Kameras sollen vor dem Hauptbahnhof aufgehangen werden, weitere an der Johanneskirche. In der Regel sorgen diese für keine positiven Veränderungen. In einzelnen Fällen, z.B. bei der offenen Drogenszene, kommt es zur Verlagerung der Kriminalität. Das heißt aber nicht im Geringsten, dass sie abnimmt.

Auch bei anderen Formen der Kriminalität ist Videoüberwachung wirkungslos. Bei einer impulsiven Gewalttat oder einem Raub bringen Kameras weder in der Prävention, noch in der Aufklärung, eine Verbesserung. Doch wird gerade mit diesen argumentiert, wohingegen Videoüberwachung wenn überhaupt nur gegen Eigentumsdelikte wirkt. Eine Untersuchung am Beispiel der Berliner U-Bahn zeigt: Von mehreren tausend Straftaten war im untersuchten Zeitraum nur in 78 Fällen Videomaterial vorhanden. In nur einem Drittel der Fälle war dieses dazu geeignet, Täter*innen zu identifizieren.[note]vgl. Hempel, Leon; Alisch, Christian: Evaluation der 24-Stunden-Videoaufzeichnung in U.Bahnstationen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Zwischenbericht, 3. Fassung, Berlin 2006.[/note] Wie sollte es auch anders sein, wenn bereits eine Sturmhaube reicht, um sich zu schützen?

In London, einer der besten überwachten Städte der Welt, hatte der Kameraausbau keinen Effekt auf die Kriminalitätsrate. Im Jahr 2008 kamen auf 1000 Kameras nur ein gelöstes Verbrechen.[note]vgl. Evans, Ian: Report: London no safer for all its CCTV cameras, auf: csmonitor.com (22.02.2012).[/note] Die Verhältnismäßigkeit zwischen tausendfacher Grundrechtsverletzung und polizeilichem Nutzen ist lange nicht mehr gegeben. Terroranschläge oder Amokläufe werden erst recht nicht verhindert, im Gegenteil. Für diese Personen gäbe es keinen größeren Erfolg, als dass ihre Tat in bester Videoqualität über die Bildschirme des Planeten flimmert. Für Mutprobende und Nachahmer gilt das gleiche. Soviel zum präventiven Nutzen.

Doch auch ganz abgesehen vom praktischen Sinn des Vorhabens, jeder Mensch hat das Recht in seiner Lebensführung unbehelligt zu bleiben. Erst Recht vom Staat. Wir müssen klar machen, dass es niemanden etwas angeht, wer sich wann wo aufhält. Es darf nicht sein, dass Behörden in die Lage versetzt werden, den Tagesablauf beliebiger Bürger*innen nachkonstruieren zu können, was mithilfe von Gesichtserkennungssoftware auch bereits automatisiert erfolgen kann. Das verstößt nicht nur gegen das Recht auf Privatsphäre, sondern auch gegen die Unschuldsvermutung.

Aktionstage

Eine andere Idee der saarländischen Sicherheitsfanatiker sind „Aktionstage“ der Polizei an besagten Kriminalitätsschwerpunkten. Diese sind rechtlich ebenfalls stark umstritten. Ermöglicht werden sie durch § 9a des saarl. Polizeigesetzes, welcher „lagebildabhängige Kontrollen“ erlaubt, bei denen auch mitgeführte Sachen „in Augenschein“ genommen werden dürfen. Hintergrund dieses bewusst schwammig formulierten Paragraphen soll sein, „grenzüberschreitende Kriminalität“ besser bekämpfen zu können, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen. Deshalb gilt das Gesetz auch nur bis 30 km ins Landesinnere. Die Polizei nutzt diese Regelung aber nun dafür, Menschen verdachtsunabhängig in der Stadt zu kontrollieren, es könnte ja ein grenzüberschreitender Bezug vorliegen. Auch ist die Anwendbarkeit des Gesetzes in diesem Zusammenhang nicht abschließend geklärt. Zur Verbrechensbekämpfung dürfen nämlich nur Bundesgesetze angewandt werden, zur Prävention hingegen auch landesrechtliche Gesetze. Das Innenministerium sieht den Schwerpunkt natürlich beim präventiven Nutzen. Diese willkürliche Drangsalierung durch die Polizei im Namen der Sicherheit – oder des Sicherheitsgefühls, wer weiß das schon – ist Schlüsselelement der Sicherheitspartnerschaft. Ironischerweise werden sie durch ein anderes Element der Sicherheitspartnerschaft – nämlich der Videoüberwachung – noch fragwürdiger. Durch diese wird laut Ministerium die Sicherheit schließlich erhöht, womit die Aktionstage am Kriminalitätsschwerpunkt Johanneskirche ihre Rechtfertigung verlieren.

So oder so: Wir fühlen bei einer erhöhten Polizeipräsenz, gerade in Verbindung mit einer unklaren Ermächtigungsgrundlage welche zur Willkür führt, vieles, aber keine erhöhte Sicherheit. Ebenso bei Verfassungsschutz und Bundeswehr.

Verfassungsschutz

Der Verfassungsschutz im Saarland hat eine neue Stufe der Überwachung erreicht. So ist hier die Deutschlandweit erste Kooperation zwischen einem Jobcenter und dem Verfassungsschutz öffentlich geworden. Mitarbeiter des saarländischen Jobcenters, sowie verschiedener saarländischer Kommunalbehörden sollen nach einem „Informationsgespräch“ mit dem Verfassungsschutz „Auffälligkeiten“ im Bereich „Rechts-, Links-, sowie Ausländer-extremismus“ dem Geheimdienst über den behördeninternen Datenschutzbeauftragten melden. Somit werden die Behördenmitarbeiter zum verlängerten Arm des Verfassungsschutzes und jede*r kann willkürlich in den Fokus des Inlandsgeheimdienstes geraten. Was denn nun „auffällig“ ist bleibt jedoch weiterhin das Geheimnis der Behörde. Was aber eher nach einem Bauchgefühl klingt, scheint für die saarländische Landesregierung völlig unproblematisch zu sein, obwohl man es hier besser wissen sollte, gerade nach den etlichen Skandalen dieser Behörde.
Weiterhin benutzt der saarländische Verfassungsschutz nach wie vor Vertrauenspersonen (V-Leute), obwohl der Einsatz in der Vergangenheit zum Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens (2003) führte und den NSU jahrelang gewähren ließ.

Militarisierung der saarländischen Polizei

Seit 2017 gibt es das bundesweite GETEX-Programm (gemeinsame Terrorismusabwehr Exercise), an dem sich 6 Bundesländer beteiligen, darunter auch das Saarland. In diesem Programm führt die Polizei gemeinsam mit der Bundeswehr Anti-Terrorübungen durch, die dazu dienen sollen im Falle eines Terroranschlags gut vorbereitet zu sein.
Wenn man sich aber nun den Art. 35 Abs. 2 GG anschaut, dann wird einem schnell klar, dass GETEX sehr problematisch ist. Demnach könne die Bundeswehr und die Polizei zusammenarbeiten, sobald es um die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung geht. Dies ist erst dann der Fall, wenn ein Unglücksfall vorläge. Dass es möglich ist, dass Polizei und Bundeswehr im Vorfeld schon üben, gibt das Grundgesetz daher nicht vor.

Gerade die Geschichte hat uns doch gelehrt, dass eine Trennung von Streitkräften und Polizeikräften unbedingt notwendig ist.
Durch GETEX rücken die Polizei und die Bundeswehr näher zusammen, das könnte bedeuten, dass es immer mehr solcher Programme geben wird. Nicht zuletzt könnten irgendwann Streitkräfte bei Großdemonstrationen vor Ort sein und die Demonstranten an ihrem Demonstrationsrecht hindern und so für eine Eskalation sorgen. Die Aufgabe der Bundeswehr ist es nämlich gerade nicht, die innere Sicherheit zu wahren.

Wir fordern, dass GETEX im Hinblick auf die gesamtgesellschaftliche Lage wieder beendet wird und das es keine weitere Militarisierung geben soll!

Fußfessel

Diese wird beim saarländischen Innenministerium auch in der Beschaffungspolitik deutlich. Auch die durch die Innenministerkonferenz lange diskutierte Wunderwaffe Fußfessel bei Gefährdern scheint in der Realität ein weiteres einschneidendes und unsinniges Placebo zu sein. Die Fußfesseln reagieren entweder, wenn ein*e Verdächtige*r ein bestimmtes Gebiet verlässt, oder sich einem Gebiet nähert (Gebots- und Verbotszonen). Terroranschläge passieren jedoch meist genau da, wo man eben nicht mit ihnen rechnet. Deshalb ist die Fußfessel zur Terrorismusprävention alleine schon aus kriminalistischer Sicht unsinnig. Und die saarländischen Fallzahlen stützen diese These: Im Saarland gab es im Jahre 2017 keine Fußfessel im Zusammenhang mit terroristischen Gefährdern. Lediglich eine Person bekam eine Fußfessel im Zusammenhang mit einer Sexualstraftat. Trotzdem muss das Saarland jährliche tausende von Euro für das Projekt Fußfessel und die damit verbundenen Wartungs- sowie der Grenzkosten bezahlen.

Bodycams

Eine weitere Idee des saarländischen Innenministeriums sind die Bodycams. Deren Einsatz (§28 Abs. 2 Nr. 2 SpoIG) stellt laut Bundesverfassungsgericht einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte dar. Der Einsatz solcher Cams wurde mit dem Ziel der Gefahrenvorsorge und Verhütung von Straftaten, insbesondere die Verhinderung von Polizeigewalt, begründet. Problematisch dabei ist, dass keine konkrete Gefahr für Leib und Leben gegeben sein muss, damit solche Cams zum Einsatz kommen können. Ist das Ziel wirklich die Verhütung von Straftaten oder eine Farce, damit die Bürger weiter kontrolliert und überwacht werden? Wir wollen diese Farce nicht hinnehmen!

Laut dem Unabhängigen Datenschutz Zentrum Saarland haben sich die Polizeiinspektionen im Saarland seit 2016 mit 15 Bodycams ausgestattet. Aktuell ist die saarländische Polizei sogar mit 72 Bodycams ausgestattet. Die Zahl der Cams hat sich also in den letzten zwei Jahren verfünffacht. Die Polizei rüstet also stetig auf, wir wollen und können diese Grundrechtseingriffe nicht hinnehmen! Wir fordern eine kritische Auseinandersetzung solcher technischen Maßnahmen, die nur der Regierung und der Polizei zu Gute kommen.

Mehr Polizeipräsenz, mehr Überwachung, mehr Autorität, eine weitere Auslegung der Kompetenzen zulasten der Grundrechte, soll die Bevölkerung in ihrer „Angst“ vor Armen, Ausgegrenzten und Geflüchteten beruhigen. Das „Sicherheitsgefühl“ war vor dem Flüchtlingsthema weitaus weniger präsent. Die Maßnahmen richten sich nie gegen Ausbeuter, Ausgrenzer oder Kriegstreiber, sondern gegen ihre Opfer und politischen Gegner. Die Reaktion ist in Deutschland auf Hochkurs, CDU und SPD sei Dank.