Positionspapier: Bildung 2016

Ein Platz zum Denken, ein Ort zum Entfalten – Schule jenseits von Leistungszwang

Bildung geht alle an.
Schule ist die grundlegende Bildungseinrichtung, in welcher der Grundstein für die Entwicklung eines Menschen gelegt wird. Hier findet zentral die Wissensvermittlung und Persönlichkeitsbildung statt. Doch die Schule verläuft unter Prämissen, welche diesen extrem zuwiderlaufen.
Schulleben könnte emanzipatorisches Leben vermitteln, der Schulalltag geprägt sein von einem inklusiven, individualistischen und demokratischen Miteinander. Schule stellt sich allerdings völlig anders dar. Hier werden Individuen zu einer Masse verknetet, die auf erzwungene Anpassung abzielt und die Austauschbarkeit des Menschen begründet. Ökonomische Verwertbarkeit und daran angepasste Verformung und Entfremdung der Menschen stehen im Vordergrund.
Die Linksjugend [’solid] Saar hat sich über eine neue Schule Gedanken macht. Zu welcher Form von Schule könnte man kommen? Was sind reformistische Möglichkeiten, die direkt politisch angegangen werden können? Diese Debatte möchten wir in diesem Positionspapier zusammentragen. Dabei möchten wir zum einen klar die Positionen hervorheben, auf die wir uns grundsätzlich einigen konnten, aber auch die Debatte und unterschiedlichen Argumente darstellen.

1. Demokratie leben – Mitbestimmung der Schüler*innen stärken!

Partizipation und demokratisches Miteinander sind ein Bestandteil, der nicht einfach an der Tafel beigebracht wird. Viel mehr sollten Schüler*innen bereits von Beginn an selbst in der Schule ihren Alltag mitbestimmen, viel stärker, als das bisher der Fall ist. Nur so können Schulen selbstbestimmte Menschen hervorbringen.

Schüler*innen erleben Schule bisher vor allem als einen Prozess, welcher von der Autoritätsposition, den Lehrenden, bestimmt wird. Wir wollen, dass möglichst viele Prozesse an den saarländischen Schulen in Form von Basisdemokratie zustande kommen: Egal ob Lehrende oder Lernende, alle haben eine Stimme – und diese zählt gleich viel. Dieses grunddemokratische Prinzip muss auch in der Schule gelten.

Schüler*innen und Lehrende können zusammen ihre Schulregeln verfassen und durch Mediationsverfahren gemeinsam Konflikte lösen. Dieser Grundsatz steht für uns über allen konkreten Maßnahmen, wie sie in den folgenden Punkten dargestellt werden sollen.

2. Freie Wahl statt Einheitsbrei – Den selbst zusammengestellten Stundenplan ermöglichen

Bisher beruht Schule auf dem Prinzip, dass weitestgehend alle dasselbe lernen und können sollen. Wir als Linksjugend [’solid] Saarland sind uns darin einig, dass die Wahlmöglichkeiten für Schüler*innen ausgeweitet werden müssen.

Hier sind allerdings zwei Positionen gegenüberzustellen: Die eine Position geht davon aus, dass es von Grund auf falsch ist, Schüler*innen zu irgendetwas zu zwingen, das sie nicht wollen. Diese Position sieht eine völlig freie Wahl des gesamten Unterrichts vor: Es gibt keinerlei verbindliche Lehrpläne, die Kursauswahl wird durch die Schüler*innen selbst getroffen. Regelmäßige Veranstaltungen können angeboten werden, sind allerdings keine Pflicht.

Die zweite Position stellt dagegen die Vorteile eines gemeinsamen Basiswissens in den Vordergrund. Da Allgemeinwissen beispielsweise außerhalb von Schulen immer weniger vermittelt wird und es die Auffassung gibt, dass ein Grundstock an Kenntnissen (beginnend bei Lesen, Schreiben und Rechnen) absolut notwendig ist, wird hier eine völlige Wahlfreiheit abgelehnt. Dennoch wird auch hier mit zunehmenden Alter eine möglichst große Wahlfreiheit anvisiert.
Einigkeit darüber, welches der beiden Konzepte oder in welcher abgestuften Version zu verfolgen ist, konnte bei uns nicht erzielt werden. Einigkeit bestand aber in dem Punkt, dass zumindest in der Oberstufe eine komplette Wahlfreiheit ermöglicht werden sollte und dies auch in der Mittelstufe zu prüfen sei.

Zudem wurde dafür plädiert, dass Aspekte der Biopsychologie und des sozialen Zusammenlebens stärker berücksichtigt werden sollten. Ob dies in Form eines gemeinsamen verpflichtenden Faches stattfinden sollte, wurde ebenso debattiert wie ein gemeinsamer Unterricht zum Thema gesellschaftliches Zusammenleben.

3. Gleicher Rahmen für das bunte Bild – Eine Schule für alle

Das dreigliedrige Schulsystem hat ausgedient. Die Linksjugend [’solid] Saarland sieht die Zukunft des Schulsystems in der Idee der einen Schule für alle, welche sich durch einen übergreifenden Rahmen auszeichnet, der aber innerlich ebenso zu differenzieren ist.

In dieser Schulform sind alle Kinder willkommen, egal welche Einschränkungen oder Begabungen sie haben. Nur nach diesem Grundsatz kann Verständnis erzeugt, Verständigung praktiziert sowie Toleranz und Solidarität gelebt werden.Die Linksjugend [’solid] Saar bekennt sich zur Inklusion und unterstützt diese. Allerdings müssen dafür mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden und die Thematik muss verpflichtender Bestandteil der Lehrendenausbildung sein.

Kinder entwickeln sich unterschiedlich. Sie nach wenigen Jahren auf verschiedene Konzepte aufzuteilen, verkennt dies jedoch völlig. Jedes Kind hat seine Stärken und seine Schwächen. Gerade wenn gleichzeitig die Wahlmöglichkeiten massiv ausgeweitet werden können, ist ein Unterricht nach Fähigkeiten und Bedürfnissen viel eher zu gewährleisten als Elitenbildung am Gymnasium und der Abschottung der Nichterwünschten im Hauptschulzweig der Gesamtschule. Zudem ist es nach wie vor in Deutschland mehr als in fast jedem anderen EU-Land vom Geldbeutel der Eltern abhängig, auf welche Schulform das Kind nachher verwiesen wird. Damit muss Schluss sein.

Innerhalb dieses Konzeptes muss aber auf die unterschiedlichen Niveaus eingegangen werden. Hier wurden auch Bedenken von Teilnehmenden geäußert, ob nicht zumindest eine Zweiteilung diesen Niveauunterschied besser gestalten könnte. Klar ist: Die eine Schule für alle muss auf diese Niveaus eingehen, sei es durch Wahloptionen, verschiedenen Kurslevel oder Betreuungs- und Stützangebote für Schüler*innen, welche Probleme mit ihrem persönlichen Lernfortschritt haben.

Einen Abschluss sollen die Schüler*innen entweder nach der 9., der 10. oder der 13. Klasse ablegen können. G8 muss abgeschafft werden!

4. Schüler*innen sind keine Zahlen! – Noten abschaffen

Die Bewertung von Schüler*innen erfolgt letztlich nur anhand von Noten. Noten sind aber keineswegs objektiv. Wenn Schulforscher Klausuren von verschiedenen Lehrern bewerten lassen, bekommt dieselbe Arbeit mal eine eins plus, mal eine glatte vier. Lehrer sind subjektiv und das ist gut so. Aber das heißt eben auch: Wirklich objektiv sein liegt nicht im Bereich des Möglichen. Dies ist zu akzeptieren.

Noten spielen Genauigkeit und sogar Wissenschaftlichkeit vor. Aber wer glaubt wirklich im Ernst, dass sich der komplexe Charakter eines Kindes in ein paar Ziffern abbilden lässt? Genau das passiert an den Schulen mit jedem einzelnen Zeugnis – und es entscheidet mit dieser Lotterie über Versetzung oder Sitzenbleiben, über Lehrstelle oder Studienplatz. Dazu erzeugen Noten teilweise krank machenden psychologischen Stress. Leistungsdruck ist einer der zentralen Gründe für psychologische und physische Probleme von Kindern und Jugendlichen und gerade dieser wird durch Noten massiv gefördert.

In den unteren Klassen würde ein individuell zugeschnittener Lernfortschrittsbericht, wie es an Grundschulen in der 1. und 2. Klasse bereits zum Teil praktiziert wird, völlig ausreichen.
Später ließen sich Kurse anhand eines „bestanden“ oder „nicht bestanden“ bewerten, wobei als Leistung dafür keine Klassenarbeit oder direkte schriftliche Prüfung eingeholt werden soll. Dazu sind neue Formen zu finden und einzuführen, wie beispielsweise Portfolioarbeit, ein Referat, ein über das Halbjahr verfasster dialektischer Aufsatz und andere.

5. Kein Werben für das Sterben – Bundeswehr raus aus den Schulen!

Dass die Bundeswehr an Schulen um Nachwuchs wirbt, ist nicht neu. Allerdings hat die Werbung in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Das Engagement ist vielfältig. Nicht nur an den Schulen wird geworben, auch bei Ausbildungsmessen oder im Bierzelt auf dem Dorffest fehlt die Bundeswehr nie und vor Arbeitsagenturen wird jungen Menschen ein Beruf mit Zukunft versprochen. Das immer aggressivere Auftreten und Werben hat zwei Gründe: Zum einen fehlt der Bundeswehr das Personal. Zum anderen hat man erkannt, dass man etwas gegen die ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber Kriegseinsätzen tun muss.

Aber ein Job beim Militär ist immer damit verbunden, dass sowohl die Beendigung des eigenen Lebens droht als auch die Beendigung des Lebens anderer Menschen. Ausgebildet wird an der Waffe. Ein Job bei der Bundeswehr ist kein Job wie jeder andere: Es ist ein Job bei dem es um Menschenleben geht. Zudem ist ein Bundeswehrsoldat letztlich das gewalttätige Mittel des Staates zur Durchsetzung von dessen nationalen und damit zumeist ökonomischen Interessen.
Das Saarland hat sogar Kooperationsvereinbarungen mit der Bundeswehr geschlossen. In saarländischen Schulen vermittelt die Bundeswehr als offizieller Bildungspartner politische Bildung, schult Lehrer*innen und führt Exkursionen durch.

Wir fordern eine komplette Beendigung von Werbeaktionen der Bundeswehr an saarländischen Schulen und die sofortige Aufhebung der Kooperationsvereinbarungen!

Generell ist Schule kein Ort für staatliche Repressionsorgane. Die Linksjugend [’solid] Saar kritisiert ebenfalls die Präsenz der Polizei an den Schulen. Die von der Polizei durchgeführten Präventionsmaßnahmen sollten von Vereinen übernommen werden, wie dies zum Teil bereits geschieht und auch beim Werben für die Polizei gilt: Auch dies ist kein Job wie jeder andere. Die Polizei ist eben nicht immer der „Freund und Helfer“, sie prügelt auch auf Demonstrationen und ist Handlanger bei Abschiebungen. In der Debatte wurde so zwischen einem gänzlichen Verbot der Werbung an Schulen und einer sehr eingeschränkten Präsenz diskutiert.

6. „Wo ich lerne, bestimme ich!“ – Anwesenheitspflicht reformieren

Was bringt es, Beteiligungsunwillige zum Unterricht zu zwingen? Die ständige Anwesenheitspflicht wirkt sich oft negativ auf den Unterricht sowie auf das Empfinden der Schüler*innen aus.
Zum einen sollte die Anwesenheitspflicht, wenn sie gilt, nicht für die Teilnahme an einem bestimmten Kurs verpflichtend sein: Wenn Schüler*innen lieber andere Inhalte nacharbeiten möchten, kann z.B. an einem anderen Ort gelernt werden. Nachmittags sollte der Unterricht ohnehin hauptsächlich aus betreutem Lernen bestehen. Ganztagskonzepte, verbunden mit einem kostenfreien Mittagessen (bei dem es auch eine vegane Alternative geben muss) sowie freizeitliche und kulturelle Aktivitäten an den Schulen sind dem am zuträglichsten und müssen ausgeweitet werden.

Für die erste Stunde fordern wir eine generelle Abschaffung der Anwesenheitspflicht. Um halb acht Uhr morgens ist eigentlich niemand so richtig wach. Es wurde bereits in Studien belegt, dass diese Zeit für das Lernen eher ungeeignet ist. Wenn beispielsweise eine Betreuung am frühen Morgen nicht möglich ist, kann es dennoch logistisch wichtig sein, dass die Kinder um diese Zeit in der Schule sein sollen. Dann muss es dort zumindest ein Betreuungsangebot geben, das aber auch sehr frei gestaltet werden kann. Sobald Schüler*innen volljährig sind, ist die Anwesenheitspflicht auf jeden Fall abzuschaffen.

Ob und wie früh diese generelle Befreiung schon davor angesetzt werden kann, ist zu debattieren. Warum soll Schüler*innen verboten werden ihre Materialien auch autodidaktisch während der Schulzeit zuhause zu erarbeiten, wenn dies ihnen zuträglich ist?

7. Niemand macht mehr Hausaufgaben – Und das mit Recht!

Hausaufgaben steigern insbesondere die Effekte des Einflusses von sozial unterschiedlichen Verhältnissen. Während beispielsweise Kinder von wohlhabenden Eltern sich zumindest einen Nachhilfeunterricht leisten können, welcher zu einer effektiven Bearbeitung führt, ist das bei einkommensschwachen Familien viel seltener der Fall. Zum einen aufgrund des vielleicht niedrigeren formalen Bildungsniveaus der Eltern, aber auch weil beide Elternteile berufstätig sind und oft keine Zeit haben, Hausaufgaben mit ihren Kindern zu machen.
In einem Konzept, bei welchem es zum einen eine begleitete Nachmittagsbetreuung gibt und Schüler*innen in der Schule viel mehr Möglichkeiten haben selbstständig zu arbeiten, sind Hausaufgaben aber auch schlicht nicht mehr notwendig und würden nur eine zusätzliche Belastung darstellen, welche zu noch weniger Freizeit führt.

8. Gegen den gesponserten Unterricht – Einflussnahme der Wirtschaft abschaffen!

Die Linksjugend [’solid] Saar kritisiert die immer weiter stattfindende Einflussnahme der Wirtschaft an den saarländischen Schulen. Sponsoring von Unternehmen und Banken soll abgeschafft werden und Lernmaterialien dürfen nicht von der Wirtschaft zusammengestellt und verwendet werden. Die Schulen müssen von staatlicher Seite mit den besten Lehrmitteln ausgestattet werden. Gerade die Lehrendenbildung wird ebenfalls stark von der Wirtschaft beeinflusst, im Saarland wird sogar ein spezifischer „Geldunterricht“ von privaten Unternehmen angeboten. Dies ist zu unterbinden.

Weiterhin sprechen wir uns auch dafür aus, dass auch kapitalismuskritische und kapitalismusablehnende Haltungen und Positionen in der Schule behandelt werden sollten und Wirtschaftskunde nicht nur ein Loblied auf die Funktionsweisen der Marktwirtschaft sein darf.

9. Das Kruzifix endlich abhängen – Laizismus verwirklichen!

Religiöse Symbole haben an Schulen nichts verloren. Wir fordern deshalb: Das Kruzifix hat nichts an Schulen zu suchen. Religiöse Symbolik kann von Schüler*innen und Lehrenden individuell getragen werden, darf aber nicht zum offiziellen Bild der Schule gehören.

Die Linksjugend [’solid] Saar fordert zudem die Abschaffung des konfessionsgebundenen Religionsunterrichts. Religion ist Privatsache! Dafür setzen wir uns für die Angebote eines gemeinsamen Ethikunterricht und allgemeiner Religionswissenschaft ein, in denen auch religionskundliche Aspekte behandelt werden sollten. Diese können bereits ab der Grundschule angeboten werden.

Ebenso lehnen wir Schulen in kirchlicher Trägerschaft ab. Zum einen können diese Schulen weitgehend selbst bestimmen, welche Schüler*innen aufgenommen werden – nämlich nach Konfession. So wird eine religionsspezifische Diskriminierung durchgesetzt, die unserer Meinung nicht mit einem säkularen Staatswesen und dem daraus resultierenden Schulwesen vereinbar ist. Auch üben wir massive Kritik am kirchlichen Arbeitsrecht, das beispielsweise Unverheiratete und nicht-heterosexuelle Menschen massiv diskriminiert und an diesen Schulen zum Einsatz kommt.

10. Vom Zuchtmeister zum Lernbegleitenden – Für eine neue Lehrendenrolle und Ausbildung

Wir stellen uns die Lehrenden als begleitende Partner*innen der Schüler*innen vor. Lehrende sollen die Kinder auf ihrem Lernfortschritt auf den richtigen Weg bringen, die wichtigsten Inhalte vermitteln und Ansprechpartner*innen sein. Auch die pädagogischen Aspekte sind hervorzuheben: Der oder die Lehrende als verständnisvolle Erziehende soll gegenüber dem/der Lehrenden als strenge Wissensvermittler*innen in den Vordergrund rücken. Lehrende sollten nicht als Autoritätspersonen, sondern als Helfende wahrgenommen werden, mit denen man gerne zusammenarbeitet.

Darauf muss auch die Lehrendenausbildung ausgerichtet werden. Pädagogik und Erziehungswissenschaften sollen gestärkt werden und die Lehramtsstudierenden sich auch mit gesellschaftstheoretischen, soziologischen und psychologischen Inhalten beschäftigen. Das Thema Inklusion sollte, wie bereits gefordert, stärker integriert werden.

Zudem sollen nicht zuletzt die Rechte von Lehrenden gestärkt werden: So fordert die Linksjugend [’solid] Saar sämtliche Hürden, die Lehrendenstreiks verhindern, einzureißen. Lehrende und Schüler*innen müssen die gleichen Möglichkeiten haben, für ihre Rechte zu demonstrieren, so, wie auch alle anderen Menschen!

Stand: 2016